Der dankende Steppenwolf

Mit 14 habe ich den Steppenwolf gelesen. Irgendwie heimlich. Das war nicht gerade passend für meinen damaligen Lebensabschnitt. Ich war damals der Computerwelt ergeben. Ich züchtete IRC-Netzwerke, ich kannte alle Ports und deren Dienste auswendig. Ich hatte mir einen kleinen Linux-Cluster eingerichtet, der allerdings minder performant war, weil das schwächste Glied die Stärke der Gemeinschaft definiert.

Nichtsdestotrotz hatte ich damals Zugang zum Steppenwolf. Noch bevor ich übermässig kiffte und mich regelmässig betrinken musste. Das war sehr erbaulich. Ein gealterter Mann, der nicht erwachsen werden wollte, ein Doppelgänger, so wie das Motiv dieses Blogs. Ich habe Hermann Hesse hier niemals zitiert und bemüht. Das ist eigenartig, doch hiermit korrigiert. 

Das hat mich damals nicht erweckt, aber geprägt. Den Steppenwolf habe ich später nochmals gelesen, als eine alternative Dame aus dem fernen Solothurn voller Lebensfreude mir das Buch erneut empfohlen hatte. Sie attestierte mir Ähnlichkeit. Ich war damals in meiner Berufsausbildung involviert. Ich trug zwei bis drei Arbeitsanzüge, zwei bis drei Partyanzüge in der Woche.

Ich war wohl ein spannender Gegensatz. Ein Widerspruch. Ein Doppelgänger. Ich wollte in beiden Welten heimisch sein. In der apollinischen wie dionysischen. Klassisch bipolar. Mein Grundmotiv war entstanden, mein Lebensgefühl war geweckt. Seit meiner Berufsausbildung seiltänzle ich. Gewissermasse balanciere ich heute noch, gleichwohl die apollinischen Verpflichtungen heute sich mehr durchsetzen konnten. 

Ich bin stark verpflichtet. Ich fühle mich einigen besonderen Menschen sehr verpflichtet. Die Verpflichtung ist aber keine bloss Pflichterfüllung. Sie beseelt und befriedet mich. Es ist eine andere Natur der Verpflichtung als beispielsweise die Verpflichtung meiner Firma gegenüber. Die Firma ist nicht mehr so bedeutend, obwohl das Steueramt die Firma sehr grosszügig bewertet und damit mich als “wohlhabend” definiert. 

Doch ebensogut könnte ich die Nächte irgendwo versauern, unheimlichen Gestalten begegnen und mein schwaches Geld vergeuden. Ich könnte ebensogut mein Leben ruinieren, durchdrehen, Grenzen überschreiten und mich selber zerstören. Ich könnte, aber ich habe mich gemässigt. Ich bin sozial bereichert und erfüllt worden dergestalt magisch, dass das Bedürfnis nach Selbstzerstörung nicht mehr mich dominiert. 

Ich möchte das nicht aufs Alter zurückführen. Der Steppenwolf als literarische Figur war wesentlich älter als ich. Das Alter ist irrelevant. Ich hatte bloss Glück im Unglück. Meine Biografie gleicht einer Tragödie. Doch die Tragödie ist gestoppt worden. Die kleinen Rückschläge meines Alltags behindern mich nicht. Diese grosse Ereigniskette hat meine wunderbare Tochter ausgelöst. Das hat alles geändert.

Ich werde stets bipolar bleiben. Ich kann mein Grundmotiv nicht leugnen. Aber ich kann mich anpassen, dass ich zum ersten Mal keinen Drang zur Selbstzerstörung spüre. Ich bin nicht einmal motiviert. Ich habe keine Sehnsucht. Das ist für mich eine neuartige Situation, die ich aber längst bereits akzeptiert und auch gewertschätzt habe. Ich möchte manchmal mich auch bloss bedanken. Einfach meinen Dank aussprechen. Danke.