Der Cäsarismus der Gegenwart

Wenn Politiker einer Nation verpasste und vergangene Grösse versprechen, dann erinnert das mich an einen Cäsarismus im klassischen Sinne. Allein, dass man Grösse wiedererlangen muss, bestätigt, dass man keine mehr hat. Der Wahlspruch eines fernen Politikers also befremdet mich.

Ich bedauere nicht den Zusammenbruch der Sitten, die Sinnlosigkeit unserer Kultur und die Ausschweifungen der Jugend. Ich habe jüngst meine Generation erklärt. Ich verurteile nicht, dass die westliche Zivilisation allmählich den uneingeschränkten und bedingungslosen Führungsanspruch verliert. Ich warte, ich harre bloss.

Die hier regelmässig bemühte NZZaS diskutiert den Cäsarismus eines fernen Politikers vielmehr aus der Innensicht. Der ferne Politiker legitimiert sich, weil er interne, vermeintlich dekadente und überholte Strukturen als «starken Mann» überwinde. Damit bestärkt er seine Anhänger, er werde der Nation verpatzte Grösse zurückbringen.

Freilich zitiert man antike Parallelen. Der Begriff Cäsarismus impliziert das. Doch ich möchte keine Innensicht anstreben wie die NZZaS. Ich möchte die Aussensicht der aktuellen Entwicklung befragen. Wieso kann bloss ein Cäsar die westliche Zivilisation erlösen, sie wieder in wirtschaftliche und moralische Prosperität führen?

Gemäss Spengler heilt eine autoritäre Regierungsform die sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Verletzungen einer demokratisierten Gesellschaft. Sie ordnet. Sie entscheidet, sie schafft. Die Politik triumphiert ein letztes Mal übers Kapital. Der Mann feiert seine Entschlossenheit und Handlungsvollmacht.

Wir «verdienen» einen Trump. Eine graue, fleissige, durchbürokratisierte und unaufgeregte Hillary fesselt weder, noch fasziniert oder empört sie. Gewiss kann man sie wegen Emails und sonstigen wirtschaftlichen Verwicklungen anprangern. Doch das kratzt bloss; das ist kein tiefes Entsetzen, kein echter Skandal, der alle betrifft und eine Meinung bildet.

Die westliche Zivilisation «verdient» gleichfalls gegenläufig klassisch cäsaristischen Diktatoren. Assad, Erdogan und Putin haben sich beworben. Sie können alle ihren Zweck erfüllen. Das chinesische Führungssystem kann ich persönlich nicht durchblicken. Ob dort ein Cäsar sich entpuppe? Ein starker Mann, der eine gespaltene Nation eint?

Unsere cäsaristischen Gegenspieler ermahnen uns, dass wir uns fokussieren sollten. Dass wir beschlussfähig regieren sollten. Sie erinnern uns, dass unsere spätkapitalistischen Gesellschaften jederzeit auseinanderbrechen können. Sozial sind wir bereits heute fortgeschritten fragmentiert.

Wir haben uns längst gegenseitig entfremdet, auseinandergelebt. Wir erdulden uns einigermassen. Doch sobald sich unser wirtschaftliche Situation verschlechtert, könnten auch wir uns radikalisieren. Dort, wo die Globalisierung besonders hemmungslos wirkt, vergrössern sich die sozial-gesellschaftlichen Fronten.

Ein Trump begreift das nicht. Er kann diese grosse Umwälzung nicht erfassen. Er muss auch nicht. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort positioniert. Die USA gleichen einem verletzten Tier. Noch sind die USA nicht erlegt. Deswegen werden sie bald einen bestimmen, der sie «nur noch einmal» aufpäppelt. Zum letzten, aber bereits verlorenen Gefecht.


Eine Antwort zu «Der Cäsarismus der Gegenwart»

  1. […] Mann der Tat, der einfache Mann vom einfachen Manne gewann. Bald krönt er sich selber zum neuen Cäsar. Bald postuliert er sein 100-Tage-Programm. Hoffentlich verweicheln […]

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