Bewegung macht frei

Nicht bloss Arbeit befreit, sondern auch Bewegung. Als ich meinem Stiefvater offenbarte, ich blockiere (wieder einmal) mein Leben, war er nicht erstaunt. Er attestierte mir zuwenig Bewegung. Und zuwenig Bewegung erwirke zuwenig Ausgeglichenheit. Und wer nicht ausgeglichen sei, so mein Stiefvater am Familientisch, werde niemals zufrieden und glücklich sein.

Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Vor knapp sechs Jahren startete mein abermaliges Experiment. Ich wollte herausfinden, wie lange man einen verschwenderischen, unachtsamen und verantwortungslosen Lebensstil kultivieren könne, ohne dabei entweder sich selber oder andere umbringen zu müssen. Dass keine Bewegung eingeplant war – rauchen, saufen und bumsen mal ausgenommen – versteht ja wohl jeder.

In der Retrospektive kann ich zwar anerkennen, dass mein Körper anscheinend für einen solchen Lebensstil konzipiert ist – aber dass ich damit kein anständiges und bürgerliches Leben regulieren kann. Denn wer verantwortungslos ist, verhält sich so auch gegenüber seinen Mitmenschen – manchmal selbst zu den Liebsten. Wer mit 200km/h auf eine Wand zurast, dabei noch triumphierend beschleunigt, muss sich nicht verwundern, wenn er schliesslich irgendwann verunfallt.

Während meiner Raserei witzelte ich über jene Angepassten, die zum «Ausgleich» sportlich sich betätigen mussten. Ich schwor, niemals so zu enden. Lieber wollte ich sterben. Mittlerweile habe ich den Mehrwert des Ausgleichs respektiert. Bewegung befreit. Ich gewinne tatsächlich Freude. Gewiss beschleicht einen das Gefühl, sich selber zu täuschen und zu manipulieren – aber das tut man ohnehin. Ich kann alle diese Aussagen nun nachempfinden, wenn Manager gestehen, ohne Sport würden sie «explodieren» oder dergleichen.

Ohne Rauchen, Saufen und Bumsen würde ich denn auch explodieren. Tabak, Alkohol und Sex sind genausogut ein Surrogat wie Joggen, Radfahren oder wie man das immer heisst. Sie ersetzen etwas – nämlich den Lebenssinn. Man kann zwar das eigene Leben mit Bedeutung aufladen, doch jeder einzelne Alltag zehrt an diesem raren Guthaben. Jeder Tag im Gleichschritt frisst Sinn und Zweck. Man leert sich kontinuierlich – bis man sich auflöst und komplett in der Monotonie aufhebt.

Ich kann mich selber nicht retten – stattdessen wähle ich meine Ersatzstoffe bewusster. Dieser Blog und die Bewegung sollen mich ausgleichen, das Rauchen werde ich mir nicht abgewöhnen. Alkohol und Sex werde ich disziplinieren.


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