Freilich verschuldet

Egal, was ich tue, ich provoziere. Ich kann niemanden befriedigen, ich kann niemanden beglücken. Ich kann keine Transformation erwirken. Ich kann nichts. Man sollte Absichten statt Taten verurteilen. Aber ich werde für beides bestraft; für meine guten Absichten und schlechten Taten, die daraus resultieren.

Gewiss bin ich nicht verantwortungslos. Ich kann mich weder freikaufen noch lossprechen. Alles, was ich tue, beeinflusst und verändert. Menschen und vor allem deren Interaktionen sind unberechenbar. Diese begrenzbare Variabilität entschuldigt und rechtfertigt keine Sorglosigkeit, Achtlosigkeit. Sie erklärt allenfalls.

Ich zweifle, wie frei ich überhaupt agiere. Ich fühle mich zuweilen ausgeliefert. Ich kann zuweilen nicht klar und vernünftig denken; ich reagiere lediglich. Das Konzept eines übermächtigen freien Willen, der über alles thront und wacht, alle unsere Entscheidungen orchestriert, davon habe ich mich längst entfremdet.

Dummerweise fusst darauf unser liberales Gesellschaftsmodell, dass jedermann frei entscheiden und wählen darf, wie er das Leben verwirklicht. Ohne dieses “Axiom” müssten wir unsere Gesellschaft remodellieren. Das will niemand, weil das würde eine lange, weil zähe Aushandlung verursachen, ohne Hoffnung auf Einigung.

Wieder auf meine Situation übersetzt, muss ich mich immer verantworten können. Jederzeit. Auch für Taten, die ich noch nicht verübt habe. Für Gedanken. Für meinen Witz, für alle Äusserungen; für besoffene oder nüchterne. Oder für alle gutgemeinten Vorschläge, Ideen oder auch durchgesetzte Massnahmen. Für alles.

Das lastet schwer. Ich wünsche mir zuweilen eine Amnestie. Gott bürgte früher. Kein Gott mildert das Strafmass. Auch kein Gott tröstet, wenn man gross zweifelt und sich einfach schuldig fühlt. Mein Fall ist nicht besonders, ich habe nicht besonders mehr zu verschulden als meine Mitmenschen. Dennoch fühlt alles sich so schwer an.

Weswegen? Womit kann man sich erleichtern? Alkohol hilft nicht, ich habe es getestet, vergebens natürlich. Darüber zu reden auch nicht, denn das verschiebt die Last bloss; ich verlagere sie auf meinen Gesprächspartner und tue so, als ob ich sie bewältigt habe. Schreiben vertagt die Last nur. Was also? Zeit?