Das Spiel

Derzeit baue ich meine Städte. Ich liebe Städte. Ich muss nicht zwangsläufig in einer Stadt leben. Diesen Drang habe ich überwunden. Ich könnte mich mittlerweile überall verstecken. Ich hause in Basel-Stadt bloss, weil ich muss und keine Alternative habe; mein kleines Gefängnis, das ich gerne inspiziere.

Gelegentlich profitiere ich auch vom grossstädtischen Angebot – aber zu selten, dass die Mehrkosten des Stadtlebens das rechtfertigen könnten. Ich vermute, den meisten Menschen ergeht es ähnlich; sie leben zwar in der Stadt, aber vereinsamen und verstecken sich in ihren überteuerten Wohnungen. Sie sind weder draussen noch irgendwo drinnen.

In meiner Privatzeit zerstreue ich mich neuerdings nicht mehr programmierend. Meine Programme sind erschöpft. Ich habe keine neuen Anforderungen mehr, die ich umsetzen könnten. Und ohne Use Case ist das Programmieren sinnlos und daher nicht energetisierend. Eventuell ermittle ich bald wieder Anforderungen.

In einigen Monaten darf ich eventuell eine Benchmark-Logik umsetzen. Also ein Werkzeug, das Ergebnisse von Umfragen systematisch vergleicht und einen Benchmark erhebt – einen Benchmark darüber, wie “stark” oder “fit” unterschiedliche Teams unterschiedlicher Organisationen sind. Darauf freue ich mich, endlich wieder programmierend mich ablenken.

Ich muss mich vor der Lieblosigkeit meines Daseins ablenken. Ich bin hier einsam und ohne Nähe, geschweige denn körperlicher Nähe. Ich könnte mich abends betrinken, bin manchmal auch dazu nicht motiviert, sondern will mich bloss verstecken und eben ein wenig zerstreuen. Mittags bin ich stets verabredet. Ich netzwerke und interessiere mich aufrichtig.

Gewiss könnte ich mich auch überarbeiten. Der berufliche Backlog ist stets präsent und gemahnt Disziplin, Selbstbeherrschung und Mässigung meiner privaten Zeit. Der Berufsarbeit fühle ich mich derzeit bloss verpflichtet; die Leidenschaft ist ausgelöscht vorläufig. Ich brenne nicht mehr sonderlich. Manchmal begeistert sie mich kurzweilig.

Der ausserordentliche Auftrag, ein Familienunternehmen zu begleiten, entzückt mich. Ich darf nächsten Freitag debütieren. Ich bin sehr neugierig. Vermutlich wird mir alles gelingen – oder mindestens 80%. Ich will das gegenseitige Verständnis erhöhen, die Familie einen und eine kraftvolle und verständliche Operationalisierung der Strategie erwirken.

In der Zwischenzeit beschäftigt mich das Spiel, das Städtebauspiel. Ich plane eine Stadt. Ich habe auch einen gewissen ästhetischen Anspruch. Ein schöner Hauptbahnhof mit einem angemessenen Viertel, einen IT-Cluster, Inseln voller Einfamilienhäuschen, urbanes Wohnen mit lärmiger Tram, daneben Industrie und Logistik.

Ich informiere mich im Internetz über die Ergebnisse anderer Spieler. Ich bewundere ihre schön gestalteten Städte und beneide sie um ihre Geduld und das erforderliche Geschick mit Tastatur und Maus. Ich studiere Tutorials, Anleitungen und sonstige Hilfestellungen der Community der Spieler. Ich bin beseelt und entspannt.

Wer nicht spielt, ist wohl krank oder allmählich erkrankt. Der spielende Mensch ist mir am liebsten. Ich misstraue jedem, der nicht spielen kann. Spielen ist lustvoll, entspannend, erzeugt Flow-Momente. Spielen beruhigt meine Psyche. Ich bin manchmal beinahe abhängig. Ich spüre bereits jetzt den Drang, täglich zu spielen.

Dadurch vernachlässige ich vermutlich andere Verpflichtungen. Aber ebendas will ich auch bezwecken; ich will meine Psyche spülen und die Verpflichtungen vergessen, die mich ansonsten einsperren und einengen würden. Das Spiel lässt auch meine sexuelle Frustration schwinden. Ich habe keinen Trieb mehr; ich empfinde nichts. 

Dafür Spass und Genugtuung im Spiel. Das tröstet.