Uwe war ein hungriger Kerl ausm Toggenburg, Bauernsohn. Eine lange gedehnter und überinterpretierter ostschweizerischer Dialekt war kennzeichnend. Er wollte stets seine Herkunft betonen. Er entstammte nicht ausm Etablissement, ausm Platz Zürich und war mit den richtigen Familien weder verwandt noch verschwägert.
Uwe hatte ein Geltungsbedürfnis. Uwe wollte reüssieren. Uwe war nicht mit seiner Position als jüngster Projektleiter in einer grossen Bank zufriedenzustellen. Uwe umtrieb eine unersättliche Sehnsucht, beinahe ein faustischer Drang ins Unendliche – was ihn schlussendlich auch elektrisierte und die Position als Verwaltungsratspräsidenten erlaubte.
Ja, Uwe ist Verwaltungsratspräsident. Darauf ist er heute ziemlich besessen. Bei jeder Gelegenheit erwähnt er, dass er, der zunächst scheue und unbedarfte Bauernsohn ausm Toggenburg, heute Verwaltungsratspräsident sich nennen darf einer Unternehmensberatung, die am Paradeplatz repräsentativ residiert.
Er hat mittlerweile auch eine Sekretärin, die für alle seine Belange sich aufgibt. Sei es spontane Kinderbespassung, Flugtickets, sei es die tagtägliche Kalender-Hygiene, simple Emails oder spontane Haushaltseinkäufe. Sie muss jung und hübsch und vor allem belastbar überdies sein. Kein erfolgreicher Mann hat eine hässliche und gealterte Sekretärin.
Uwe gründete vor zehn Jahren seine Firma. Er hat sich das Startkapital von seiner Verwandtschaft geliehen. Er war zum Erfolg gezwwungen. Er wollte eine Art Plattform schaffen, wo Kunden präsentieren, Interessenten sich informieren und alle gleichzeitig sich betrinken konnten. Es soll der soziale Höhepunkt der Branche bilden.
Aufgrund seiner Spezialisierung in der grossen Bank hat er bereits ein Fokusthema für den Anlass und für die zukünftige Unternehmensberatung ersonnen. Das Thema war in Gartners Hype Cycle aufm Pfad der Erleuchtung. Beste Voraussetzungen, hier ein Thema in der Schweiz zu führen. Uwe liess sich von seinem Bauch beraten – so wie alle guten Managers.
Und tatsächlich debütierten Uwe und Uwes Thema. Bereits nach der initialen Konferenz konnte er einige langfristige Mandate sichern. Mit diesen konnte er sein privates Darlehen zurückzahlen und eine erste, auch wenn vorerst noch zaghafte Wachstumsphase finanzieren. Die kleine Unternehmensberatung zählte fortan sechs Mitarbeitende.
Die Konferenz war bald der Ort, wo man hin pilgerte. Verdienten Kunden vermittelte er eine Bühne, wo sie den Erfolg – wegen seiner Unterstützung – öffentlichkeitswirksam verkünden durften. Daraufhin wollten die Interessenten auch erfolgreich sein und begehrten Uwes Unterstützung. Eine kleine, selbsterhaltende Geldmaschine entstand.
Mittlerweile ist die Konferenz die grösste ihrer Art in Europa. Uwe hat auch längst nach Asien expandiert. Es ist alles internationalisiert worden. Natürlich besetzte er weitere Themen, die gerade die Unternehmen beschäftigen. Er bewies stets ein Gespür für Wichtigkeit und Dringlichkeit von Themen.
Seine Unternehmensberatung hat auch mindestens zwanzigmal so viele Mitarbeitende wie damals. Die Dividenden sind mittlerweile sechsstellig. Er ist der alleinige Hauptaktionär. Manche Partner halten 1% oder 2%, für dessentwegen sie sich privat verschulden mussten und im Falle eines Verkaufs bloss noch die Hälfte des Kaufpreises beanspruchen dürfen.
Uwe beherrscht die Unternehmung. Vor Jahren hatte er seinen «Rücktritt» als CEO zum Verwaltungsratspräsidenten den Branchenmedien kommuniziert. Damit wollte er signalisieren, dass er bloss noch als graue Eminenz im Hintergrund amte. Sein designierter Nachfolger als CEO hat aber die Täuschung durchschaut und vorm Aktienkauf gekündigt.
Andere Partner sind weiterhin im «goldenen Käfig» gefangen. Sie können nicht kündigen, solange sie ihre privaten Kredite für den Aktienkauf nicht getilgt haben. Weil im Falle einer Kündigung verlieren ihre Aktien den halben Wert. Solche Aktionärbindungsverträge sind unüblich, aber möglich; Vertragsfreiheit nennt das die Juristerei.
Seine Führungsmannschaft fluktuiert. Die externe Agentur kann nicht einmal die Webseite akkurat aktualisieren. Aufgrund dieses Vakuums muss Uwe stets sich positionieren. Alle wichtigen und dringenden Entscheide betreffen Uwe. Wer ohne Uwes Absolution handelt, bestraft Uwe fürderhin mit Ignoranz und Bedeutungslosigkeit.
Ein Partner der Firma hat sich einst versucht, über Uwe hinwegzusetzen. Er wollte ein Team formen, das bloss ihm gehorche. Also dass er für das eine Team der starke Mann sei und Themen setzen dürfe. Er wollte einen eigenen Backlog etablieren und den ohne Uwe priorisieren. Er wollte eine kleine Firma in der Firma schaffen.
Warum? Weil der eine Partner meinte, er habe mehr Informationen als Uwe, sei klüger, besser, schneller als Uwe. Eine typische Ausgangslage in einer Unternehmensberatung. Denn alle Unternehmensberater sind kleine Narzissten, die ihre kleine Bedeutung stets überschätzen und ihren mickrigen Einfluss überbewerten. Ein Herausforderer Uwes also.
Uwe hat ihn sofort kaltgestellt. Zunächst hat er das Team aufgelöst, das der eine Partner aufgebaut hatte. Er hatte Schlüsselpersonen im Team sofort zu seinen persönlichen Mitarbeitenden geadelt. Sie hätten fortan uneingeschränkten Zugang zu Uwe, dem Verwaltungsratspräsidenten. Sie hatten Serientermine geschenkt bekommen.
Es gibt wohl nichts Bedeutungsvolleres als ein Serientermin mit dem Verwaltungsratspräsidenten einer Unternehmensberatung. Das wusste auch Uwe und erkaufte sich so Loyalität. Den aufmüpfigen Partner platzierte Uwe in ein forderndes Kundenmandat. Dort war dann versenkt; der Partner konnte nicht mehr intern lobbyieren.
Dabei war Uwe stets sympathisch und verständnisvoll. Er begründete sich damit, dass der aufmüpfige Partner privat sehr stark herausgefordert sei. Es drohe mutmasslich eine Scheidung, daher müsse sich der Partner um sein Privatleben kümmern und ein sinnvolles Kundenmandat kann wertvolle Flow-Momente erzeugen.
Das war für alle sehr plausibel. Und stattdessen musste Uwe nun erneut und abermals die Führung übernehmen. Doch nicht ohne Einverständnis seiner Organisation. In einer Townhall stellte er die quasi rhetorische Frage, ob die Organisation bereit sei, für einen Turnaround einen autoritären Führungsstil zu billigen.
Die Organisation jubelte und legitimierte Uwe. Technisch hätte Uwe niemals die Organisation konsultieren müssen – denn er regierte bereits seit Jahren sehr autoritär. Er ist lediglich subtiler und perfider geworden. Auch Uwe hat gelernt, wie man Menschen manipuliert.
Uwe, der erfolgreiche Unternehmer und Unternehmensberater. Uwe sammelt übrigens auch Frauenleichen, ob beruflich oder privat. Das könnte noch interessieren. Mal schauen, ich habe gerade keine Lust.