Autor: bd


  • Der faustische Drang ins Unendliche

    Ein ominöser faustischer Drang ins Unendliche befeuert mich. Ich möchte diesem Feuer näherrücken; es verstehen und erklären. Und meine Leserschaft wie immer teilhaben. Willkommen.

    DBE-Faust

    Ich trotze dem Gleichschritt, ich trotze dem Trott. Ich verabscheue Mittelmässigkeit und Normalität. Ich gratwandere, ich experimentiere mit Grenzen und übersteige sie und mich selber. Dieser überhöhte Selbstanspruch dämpft denn auch meinen Selbstwert, wie ich kürzlich eingestehen durfte, weil Wunsch und Wirklichkeit einander zuweilen widersprechen. Bin ich bloss vollends durchgeknallt-bekloppt oder birgt darin sich mein Eros, versteckt darin sich meine Lebensenergie und meinen -hunger?

    Auf Spurensuche

    Der Fauststoff beschäftigte Generationen; ein Wikipedia-Artikel hat alles Grosse und Kleine aufgearbeitet. Darin ist unter anderem auch zusammengefasst:

    Faust ist der über seine Grenzen hinaus strebende Mensch, der im Konflikt zwischen egozentrischer Selbstverwirklichung und sozialer Anerkennung steht.

    Das ähnelt dem Konstrukt des Gleichgewichtes, dessen Unausgeglichenheit meinen Selbstwert reduziert. Faust balanciert zwischen Selbstverwirklichung und Anerkennung; er will Grenzen überschreiten. Schliesslich verbündet sich Faust mitm Teufel. Der Teufel verheisst grenzenlose Grenzüberschreitungen, knüpft das aber wiederum an klassischen Bedingungen wie mangelnde Liebensfähigkeit. Soviel zum eigentlichen Faust.

    Die faustische Kultur

    Freilich bin keine literarische Figur. Ich identifiziere mich nicht mit irgendeinem Faust. Faust verschafft Kontext, um verstehen zu können, was der faustische Drang, Streben ins Unendliche ist. Ich bin hier inspiriert, ja sehr beeinflusst worden vom Untergang des Abendlandes, dieses schwere und mühsame Buch, das pünktlich 1918 erstmalig erschien und gross und breit rechtfertigte, wieso “denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht”. Darin unterscheidete Spengler zwischen drei Kulturseelen: Die apollinische, die magische und schliesslich die faustische. Die westliche Hemisphäre ist gemäss Spengler sehr faustisch ausgeprägt.

    Der unendliche Drang ins Unendliche

    Ich begreife diesen Drang als Zwang, sich nicht zu begnügen. Weder mit sich selbst noch mit der Umwelt. Das ist nicht bloss eine Form der Gier, die sich darin zeigt. Sondern es ist auch eine Form der unendlichen Leidenschaft, Dinge zu verstehen, Dinge zu begreifen und natürlich Dinge auch zu beherrschen. Es ist der ultimative Wille zur Macht, die ultimativ entschlossen ist. Die westliche Zivilisation zum Beispiel kann nicht ruhen, bis überall “Demokratie”, “Menschenrechte” umgesetzt und Einfuhrzölle abgesetzt sind. Ich beispielsweise werde nicht sterben, bevor ich mein epochenmachendes Werk vollbracht habe.

    Der faustische Charakter

    Wer faustisch sein Leben skizziert, gewinnt eine gewaltige Entschlossenheit, die vieles ausblenden, ignorieren oder als Übel abtun kann. Meine berufliche Karriere, die mich nicht wirklich erfüllt-beseelt, kann ich damit problemlos als notwendiges Provisorium weglegen und auf meine wahre Berufung mich fokussieren. Wer faustisch denkt, der wird sich nicht mit Kleinigkeiten gedulden; er will skalieren, die Breite und Tiefe erschliessen. Er will den Raum erobern.

    Mein Feuer

    Ich brenne. Ich will leben, ich will erobern. Ich will alles erfahren. Ich bewege mich im kompetitivsten Markt wohl, in der abgefucktesten Branche wohl. Hier will ich mich als Prototyp veredeln lassen. Und danach verlasse ich diese Welt. Ich werde drei Romane verfassen. Einen Gesellschaftsroman alter Schule, eine Dystopie und eine Utopie. Und danach werde ich mich vollends ums private Glück kümmern. Ich werde mich verabschieden, die Welt bloss noch beobachten. Hier und da einige Aphorismen kundgeben. Im Privaten meine Meinung äussern. Bis dahin ist’s ein weiter Weg, aber der faustische Drang belebt, befeuert mich dabei. Stets.


  • Wie hoch ist mein Selbstwert?

    Der Selbstwert misst die Achtung und den Respekt mir selber gegenüber. Ich kenne keine genormte Grösse. Ich kenne nichts, wie man Selbstwerte vergleichen könnte. Daher muss ich auf mein Gefühl meines Selbstwertes achten.

    ich_haare_trocknend

    Als ich mich das erste Mal in Ton und Bild synchron begegnete, erstaunte ich. Bin ich das wirklich? Ich habe mich selber befremdete. Eine solche unheimliche Begegnung erhöht wohl kaum den Selbstwert. Der Selbstwert ist eine komplexe Grösse, der sich vor allem, aber nicht nur aus persönlichen Anforderungen an die eigene Person und die persönliche Wahrnehmung der Erfüllung derselben bildet.

    Das Gleichgewicht

    Wenn ich alle meine Anforderungen übererfülle, bin ich unzufrieden. Wenn ich alle meine Anforderungen untererfülle, bin ich unzufrieden. Ich bin bloss im Moment des Gleichgewichts garantiert nicht unzufrieden. Dieser Moment dauert aber nie Jahre; Selbstanforderungen oder auch die Selbstwahrnehmung verändern, entwickeln sich. Sie werden beeinflusst, geprägt, gestaltet. Denn wir sind nicht immer so selektiv, so abgeschottet von Welt und Umwelt wie wir uns selber vortäuschen.

    Das liebe Geld

    Ich erlebe derzeit ein Ungleichgewicht. Ich spüre, dass ich sehr strenge Selbstanforderungen bemühe, aber diesen nicht gerecht werde. Ich kann die Selbstanforderungen nicht recht entschlüsseln; sie verkleiden sich als Sehnsucht nach mehr Geld und Liebe. Geld kann ich rasch wegdiskutieren; technisch geht’s mir gut. Aber ich vergleiche mich gerne mit anderen. Ich bin gewissermassen eifersüchtig; ich will meinem Umfeld auch mehr bieten können und bin unzufrieden, dass ich das nicht kann, aber könnte, hätte ich mich doch früher mehr bemüht und mich von der Gesellschaft nicht losgesagt.

    Ich bin gewissermassen verspätet. Zu spät in die Karriere eingestiegen, um richtig und klassisch durchstarten zu können wie meine Mitbewerber. Die sind nun erfolgreich, können sich Boote und Autos finanzieren. Ich kann mein Umfeld spärliche Kredite geben und mir knapp Urlaub leisten. Ich weiss gut genug, dass man sich nicht mit Geld differenzieren muss. Aber es ist schwierig in einer Welt, die sich bloss übers Geld definiert. Also muss ich mitspielen und irgendjemand irgendwas “beweisen” und meinen Selbstwert an mein Jahreseinkommen koppeln.

    Schrei nach Liebe

    Liebe ist komplexer. Ich fühle mich zwar durchaus gewertschätzt und anerkennt, aber irgendwie brauche und will ich mehr. Ich weiss nicht, was mein Schrei nach Liebe ist, den ich kürzlich dramatisierte. Was wünsche ich mir? Koks und Nutten? Ist das Liebe? Kaum, das sind bloss Ersatzstoffe, sie verbergen das wahre Bedürfnis darunter. Wir alle wollen bloss geliebt werden und lieben. Wir wollen den unendlichen Spiegel der Liebe. Ich bin hier überhaupt nicht “besser”. Ich möchte der perfekte Zuhörer, Freund, Liebhaber, Geschäftspartner, Debattierer und so weiter sein. Ich beanspruche, in vielen Disziplinen gleichzeitig zu brillieren. Weil das aber gefühlt nicht tue, weil ich dafür nicht anerkennt werde, schreie ich umso lauter nach abstrakter Liebe.

    Was bleibt?

    Meine Beiträge enden selten mit einer Konklusion, die noch alles nochmals zusammenfasst und folgerichtig resümiert oder etwas abschliessend schlussfolgert, das man “mitnehmen” könnte. Beim Thema Selbstwert ist’s nicht anders. Hier kann ich bloss versichern, dass ich “dranbleibe”. Sofort verfügbar wäre das Rezept, meine Selbstanforderungen zu “mässigen”. Ich würde damit meinen Selbstanspruch verkleinern. Ich würde damit mein ganzes System entspannen. Aber ohne diesen so ganz faustischen Anspruch, ins Unendliche zu streben, würde auch mein inneres Feuer erlöschen und ich allmählich erschlaffen. Vermutlich muss ich damit leben können, dass ich stets unvollkommen bin und ich stets mich selber antreibe.


  • Sexualität als Differenzierungsmerkmal

    Die Sexualität beschäftigt Houellebecq. Sexualität beschäftigt denn auch mich. Heute eröffne ich meinen Blog mit einem kleinen Zitat, das wohl ein Klassiker ist. Doch Vorsicht, dieser Beitrag untersucht das Übel im Übel der Sexualität und endet in Auschwitz.

    Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise.

    Doch für mich ist’s nicht bloss die Sexualität, um die “ebenso erbarmungslose” gekämpft werde, sondern auch um die Liebe an und für sich. Die Sexualität kann zwar Liebe ausdrücken, kann Liebe transportieren, aber nicht alleine verkörpern. Gewiss kann eine Liebe erkalten, die nicht mehr oder weniger regelmässig am und durch den Körper des Liebenden sich wärmt. Dessen bin ich mir und ist auch die Mehrheit sich wohl bewusst. Aber das grosse Thema ist der Mangel an und der Liebe dieser Welt.

    Geld und Sex

    Die Liebe gleicht einer Ökonomie. Die Sexualität ist bereits verökonomisiert. Die Wenigen haben viel Sex, die Mehrheit keinen bis wenigen. Die Sexualisierten prahlen, künden von ihrer Übersexualisierung. Die schweigende Mehrheit schweigt, darf hier und da einige Likes absetzen. Die Industrie wiederum befriedigt Sehnsüchte konkret in Pornographie, abstrakt in Film und Buch.

    Natürlich korrelieren Geld und Sexualität nicht direkt; man erzählt Geschichten von finanzschwachen, dafür potenten Lebenskünstler und/oder umgekehrt. Dennoch zeigt sich im öffentlichen Bild eine lineare Gleichung zwischen Geld und Sexualität, personifiziert durch reiche Männer mit schönen Frauen. Dass die Männer gleichzeitig auch schön sind und die Frauen nicht weniger reich, festigt eine Linearität zwischen Geld und Sexualität.

    Liebesbedürftig

    Wir sind alle liebesbedürftig. Eine Sehnsucht nach Sexualität überdeckt bloss den Schrei nach Liebe. Liebe ist aber ein tiefes Gefühl, eine mächtige Emotion. Blöderweise sind wir so abgewöhnt, abgestumpft, dass wir nicht mehr liebensfähig sind. Wir sind so mit uns beschäftigt; wir verkrüppeln unser Ego mit Zweifeln, um es daraufhin wieder zu schmeicheln. Wir durchleben Hochs und Tiefs. Wir können niemandem vertrauen, weil wir uns selber misstrauen. Wir wollen unsere Wettbewerbskraft stets gestählert, bewiesen und erprobt wissen. Wir flüchten in endlose Selbstverwirklichung. Alle diese Hast, alle diese Hektik schmälert mit jedem Atemzug, mit jedem grauen Haar unsere Liebensfähigkeit. Wir können uns nicht mehr hingeben, wir können niemanden mehr fokussieren. Wir müssen stets reflektieren, hintersinnen, verbessern. Wir müssen optimieren.

    Die unendliche Liebe

    Ich will keine blinde Liebe romantisieren, wo man sich völlig auflöst und sich selber im doppelten Sinne aufhebt; Aufheben im Sinne von Versorgen-Verstauen und Aufheben im Sinne von Auflösen. Ich will aber mehr Naivität predigen. Wir sind so geschult, durch etliche Ratgeber und Ratschläge beeinflusst, durch Film und Buch korrumpiert. Wir kennen alle Gefahren, alle Bedenken, wir kennen alle Risiken. Wir dürfen uns das Leben manchmal leicht und vor allem leichter machen. Wir müssen nicht unser Leben verkomplizieren. Wir müssen es bloss erfahren.

    Die einfache Liebe

    Die schönste Liebe ist, die ehrlich und einfach ist. Eine einfache und ehrliche Liebe ist, wenn sie bedenkenlos ist. Man kann jederzeit bedenken, sich sorgen, sich hinterfragen. Das ist durchaus in Ordnung. Man kann sich jedoch zerfleischen, man kann sich überrumpeln, man kann sich selber blockieren damit. Das bedeutet, wenn man spürt, dass man jemand mag, solle man das ausdrücken können. Ausdrücken kann man Liebe mit Küssen, Umarmungen, mit Kunst, mit Zuwendungen, mit Teilhabe, mit Sexualität freilich. Man schenkt, man lässt teilhaben, teilt das Leben und nicht bloss einen Status. Aber wiederum muss man fähig sein, umarmt, beküsst, beschmust, beschenkt oder auch befriedigt zu werden. Einfach zulassen.

    Kein Auschwitz mit Liebe

    Mit Liebe, mit unendlicher und einfacher Liebe hätte man ein Auschwitz niemals tolerieren können. Die Menschen waren bereits nach dem Ersten Weltkrieg vereinsamt, vollends in der modernen Welt gefangen und in Geiselnahme. Sie sehnten sich schon damals nach Liebe, nach Anerkennung, nach Würdigung. Nach Sicherheit und Geborgenheit. Unsere Welt ist seitdem viel kälter geworden. Die Menschen sind noch abgestumpfter, noch überforderter als damals. Wir wissen einzig um unsere Geschichte, die mahnt mit fürchterlichen Denkmäler. Das verhindert das Schlimmste. Aber wirklich eine liebende Gesellschaft werden wir wohl im heutigen System nicht mehr.

    So nebenbei: Unlängst habe ich beantwortet, was Liebe für mich bedeutet.


  • Der gute Lebenssinn

    Die seelische Leere zeigt sich gerne auch als mangelnder Lebenssinn. Als eine Art der Gegenwartsbewältigung möchte ich einen erstrebenswerten Lebenssinn, den ich dankendst kürzlich auflesen durfte, hier und jetzt meiner kleinen Leserschaft übermitteln.

    DBE-Licht-Wald

    Der Sinn des Lebens ist es, das Leben sich bewusst zu machen. Kein blosses Im-Gleichschritt-Trotten, kein blosser Eskapismus. Kein blosses Flüchten. Der Sinn des Lebens ist es, damit ehrlich sich auseinandersetzen zu können.

    Ich befürworte darum, dass man periodisch sich hintersinne, periodisch zurückblicke, was man ändern oder verbessern könne. Ich befürworte, dass man stets neugierig, wissbegierig und lernfähig bleibe. Damit meine ich einerseits, dass man den Menschen, die Menschen nah und fern respektiere. Aber andererseits, dass man weiterhin entdecke, forsche, suche und Erkenntnisse gewinne.

    Der Sinn des Lebens ist es, dass man Beziehungen aufbaue, ein Umfeld etabliere, worin man gegenseitig sich anerkenne, würdige und durchaus wohlfühlen solle. Gleichsam unterstütze ich, dass man einen Beruf ausübe, den man mag, der einen einigermassen erfülle, der einen gewisse Anerkennung schenke. Dass man schliesslich als sinnvoll empfinde, was man tue, damit man nicht vorm AHV-Alter etwas bereuen müsse.

    Ebenso Sinn des Lebens ist, dass man der Welt, seiner Umwelt sorgfältig begegne. Also nicht bloss die Welt untertan mache, sondern friedlich koexistiere. Das äussere lebenssinnig sich darin, welche Produkte man konsumiere und dieselben entsorge. Wie man Tiere, Pflanzen, Gewässer und Landschaften behandle, welchen Abdruck man hinterlasse.

    Und schliesslich dass man die eigene Familie behüte. Hier meine ich sowohl die aktuelle, die geerbt-unverschuldete, als auch die zukünftige, noch zu finden-begründende. Familie ist wichtig und bedeutsam, weil sie verknüpft einen lebenslänglich. Manchmal fester, manchmal loser. Dass man also alle seine Mitglieder beachte, für alle sie sorge und sie begrüsse. Dass man die eigene Familie ebenso umsorge, beschütze und vor allem liebe. Das wohl wichtigste.


  • Wie fühlt sich die Leere an?

    Ich fühlte mich zeitlang leer, weil abgestumpft. Ohne Leidenschaft, ohne Begeisterung und damit quasi regungslos. Ich funktionierte, das schien meine Ausflucht. Wie hab’ ich’s also mit der Leere?

    DBE-Glas

    Die Leere ist ein weiter und breiter Begriff. Welche Leere meine ich? Fühle ich mich leer, weil ausgelaugt, ausgesaugt? So leer wie ein Glas leer sein kann? Entleert? Oder fühle mich leer, weil entseelt, entkernt? So leer wie eine Maschine? Wie so oft ist’s ein Sowohl-Als-Auch. Im Zweifel aber fühle ich mich spirituell leerer, seelisch leerer.

    Ich schimpfe, ich schreibe schon seit Jahren gegen “die Gesellschaft”. Ich abstrahiere darin mein Unbehagen mit unserer Zivilisation, mit unserer Zeit. Ich empfinde diese Zeit, diese Gesellschaft als “leer”. Leer insofern, als sie keinen Sinn stiftet. Also spirituell leer. Die Geschichten sind erzählt. Die zweite Religiosität befremdet die klassischen Religionen. Wir sind abergläubischer, unsicherer und anfälliger geworden.

    Erscheinungen wie SVP, Brexit oder Trump sind für mich Symptome dieser grossen Leere. Diese Akteure überzeugen einen nicht rational, sie begeistern unsere Herzen, unsere Emotionen. Sie füllen uns mit Sinn, mit einer Mission, mit Aufgaben, mit Überzeugungen. Es sind moderne Weltanschauungen. Sie sind komplett, totalitär und allumfassend. Und sie sind menschlich-berührend.

    Was ist nun die meine Leere? Meine Leere ist, dass ich das alles fühle. Ein Analytiker dürfte einwenden, ich schultere die Last der Welt und fühle mich als Märtyrer. Ich überfordere mich, ich übersteige und überhöhe mich. Ich überschätze meine Rolle. Ja gewiss, ich übertreibe vermutlich. Aber ich fühle so. Man kann meine Gefühle durchaus pathologisieren. Aber ändern kann ich’s nicht. Ich fühle echt und wahr. Die heutige Welt lässt mich verzweifeln. Es beschäftigt mich.

    Denn wir haben wirklich nichts, worauf wir derzeit stolz sein können. Selbstverständlich landen wir mit unseren Robotern auf Planeten, wir erkunden. Wir tauchen in die Tiefe der Weltmeere, wir erforschen unentdeckte Arten. Aber wir haben noch viele andere issues, die grundsätzlich schwerer wiegen. Ich denke hier an den sexuellen Konkurrenzkampf, ich denke an den wirtschaftlichen Dschungel, ich denke hier an die allgemeine Sinnlosigkeit, an die Kapitulation der Philosophie. Ich denke an alle diese Arbeiter, die alltäglich im Trott marschieren.

    Ich denke an alle die Seelen, die vereinsamen. Ich denke an alle diese Menschen, die nicht beantworten können, wer sie sind und wieso sie hier sind. Ich denke an alle die Hungernden, die nicht einmal daran denken können. Ich denke an alle die Verfolgten und Verjagten, die sich Sinn und Glück in der westlichen Hemisphäre erträumen. Ich denke an alle, die sich nach unserem Leben sehnen, aber nicht ahnen, wie sinnlos es ist.

    So fühlt sich meine Leere an. Diese Leere dominiert mein Gefühl. Ich kenne viele Wirkstoffe, die dem entgegentreten. Ich meine nicht bloss Alkohol und der illusorisch freiheitsliebende Zigarettenrauch. Ich meine alle diese Surrogate, die Glück und Sinn versprechen. Das sind unter anderem Bewegung, Arbeit, Sexualität, Geselligkeit, Kulturindustrie. Wer weitere finde, möge sie anfügen. Man kann diese Liste fortführen. Sternzeichen, Freikirchen und TV-Serien darf man selbstverständlich anreihen.


  • Werbung in eigener Sache

    Für alle, die es heiss, wild und extrem lieben, bin ich der perfekte Zeitgenosse. Ich haushalte weder mit Gefühlen noch mit Gedanken. Ich lebe, ich verschwende. Ich will mich nicht mässigen, solange ich noch spüre. Ich lasse teilhaben, ich lasse verzaubern. Ich kann auch überfahren und überfordern. Anders als meine Mitmenschen habe ich Leidenschaft und einen unersättlichen Hunger nach Leben. Das macht mich zum perfekten Tänzer des Lebens. Tanze mit mir!

    David-Selfie-06


  • Der Anzug

    Ich sympathisierte bekanntlich zeitlang mit Momos Gegenspielern, den grauen Männern. Dass diese Männer in grauen Anzügen herumschlichen, war mehr als sinnbildlich. In diesem Beitrag erzähle ich meine Beziehung zu Anzügen.

    DBE-Momo-Graue-Maenner

    Nein, es war kein Samstagabend mit Momo, der mich aufs Thema Anzug stimmte. Das könnte man mir durchaus zutrauen. Denn ich mag Buch wie Film. Die Geschichte berührt mich seit einigen Jahren immer wieder. Denn die Geschichte ist eine zutiefst ökonomische, auch wenn sie zuweilen im Vollgeld-Dunst schwabert. Doch eben, darum geht’s mir heute zumindest nicht. Sondern um Anzüge Baby.

    Aufs Thema aufmerksam hat mich ein Beitrag der Zeit gelockt. Der grosse Unterschied des Anzuges an und für sich ist, dass er nicht unterscheidet. Ich zitiere:

    Anders als bei der bisherigen, am Beruf und der Herkunft des Trägers orientierten Kleidung, sind beim Anzug religiöse, kulturelle oder ethnische Unterschiede nicht mehr sichtbar. Seine Neutralität ist der Schlüssel zum Erfolg.

    Das war revolutionär. Das ist revolutionär. Es ist wortwörtlich eine Uniform, eine Uniform der westlichen Zivilisation. Ich schmückte mich zeitlang mit möglichst schrillen Anzügen. Meine Brocki-Touren waren bekannt. Die Anzüge sassen zwar nicht immer perfekt, aber manchmal belohnte der Zufall meine Hartnäckigkeit und ich erwarb Schmuckstücke zu Billigstpreisen. Diese Schmuckstücke konservierte ich nicht, sondern zertrümmerte sie sobald in der nächsten Party. Flecken, Risse, Brandlöcher, ich war der ultimative Anzugzerstörer.

    Ich unterlief das System, die Uniform, indem ich sie missbrauchte für meine offensichtliche Tarnung. Denn obgleich ich einen Anzug trug, war es doch sehr offensichtlich, alleine durch die Farbe und den Zustand des Anzuges, dass ich nicht uniformiert oder angepasst war. Ich bediente mich der Kleidung des Systems so wie ich mich der Sprache des Systems bediente. Ich habe die Symbole des Systems für meine Zwecke instrumentalisiert. Das gefiel mir.

    Seit meiner Existenz als Unternehmensberater hüllte ich mich vorzugsweise in grauen Anzügen. Das wurde schon bald mein “Markenzeichen”; weisses Hemd, grauer Anzug, braune Schuhe und eine braune Tasche. Ich verringerte damit die lead time meines morgendlichen value stream wie man das im Beratersprech verklausuliert. Das gefiel mir irgendwie auch. Diesmal war die Tarnung besser. Man wollte mich als einen der ihrigen identifiziert wissen.

    Mittlerweile verstecke ich mich selten in Anzügen. Ich bin ehrlicher geworden. Ich kleide mich mit einer Stoffhose, vorzugsweise bläulich oder bräunlich und einem vorzugsweise weissen oder blauen Hemd. Die Schuhe sind entweder bläulich oder bräunlich. Das hat zwar die Komplexität meines Kleiderschranks erhöht und sicherlich die Durchlaufzeit im Morgentritt verlängert, aber dafür mir gewisse Individualität und Differenzierungsmerkmale erstattet.

    Nichtsdestotrotz fertigt Eniline, eine Schneiderei in Bern, mir zwei superknallige Sommeranzüge; einer in Leinen und einer in Schurwolle. Farbe und Schnitt sind aber gewagt und untypisch. Ich werde Aufmerksamkeit erregen. Vermutlich so viel Aufmerksamkeit wie einst vorm Terminus, als ich mit einem dekadenten weissen Sommeranzug einige Halbstarken provozierte. Und alles in einer Prüglerei zu enden drohte.

    Mal schauen.


  • Rauchen ist geil

    Derzeit geilt meine Vorliebe fürs Adjektiv geil. Keine Sorge, ich erzähle nicht über meine reguläre Geilheit oder dergleichen. Ich möchte bloss mit einem Zitat an die Unfreiheit unsrer Zeit erinnern. Frisch geschlüpft aus Michels Ausweitung der Kampfzone.

    Zigarettenrauchen ist das einzige Stück echter Freiheit in meinem Leben. Das Einzige, was ich aus voller Überzeugung und ganzer Seele tue. Mein einziger Lebensinhalt.

    Vieles ist schon verboten worden, viele Schilder ermahnen uns, was wir tun dürfen und was nicht. Der Staat wacht nicht bloss in der Nacht. Auch die besorgten Bürger üben Wachsamkeit und zeigen kaum Nachsicht. Die Gesellschaft selber produziert den grössten Anpassungsdruck.

    Wo wir noch frei sind, ist die Wahl, wie wir unseren Körper verstümmeln wollen. Sei es Zigarettenrauch, sei es Alkohol, sei es Unsport, sei es ungeschützten Geschlechtsverkehr. Wir können riskieren und bloss noch darin unsere Individualität demonstrieren. Denn restlich sind wir alle angepasst, praktizieren entfremdete Arbeit, verlieren den sexuellen Konkurrenzkampf und freuen uns aufs Ende.


  • Unproduktivität ist geil

    Wenn mich eine Arbeit langweilt, bin ich so träge und müde, dass ich sie nicht einmal abschliessen kann. Leider fordern meine Kunden konstante Höchstleistung. Ich kann weder pausieren noch entspannen. Ich werde beauftragt, um Spitzen zu decken. Dennoch faulenze ich.

    Das schlimmste für mich ist, etwas zu erledigen, was ich eigentlich nicht will. Mein Berufsleben ist manchmal irr; manchmal muss ich bloss reden, moderieren, vermitteln. Aber manchmal muss ich Analysen, Papiere verfassen. Und diese beelenden mich. Ich weiss nämlich, dass sie nutz- und sinnlos sind. Aber ich werde dafür bezahlt.

    Zwar liebe ich solche Tätigkeiten durchaus. Manchmal lenken sie einen ab. Man kann sich auf Details konzentrieren. Man kann den perfekten Absatzabstand evaluieren. Oder das Dokument so mit Querverweisen verstückeln, dass niemand sie jemals folgen wird. Einmal hatte ich ein komplettes Dokument bloss modellbasiert spezifiziert, dann mittels eines selbstkonfigurierten Werkzeugs in ein klassisches PDF verwandelt. Das war Zauber und ich wohl der erste, der das so praktiziert hat.

    Man kann sich also in solchen Nebensächlichkeiten vergessen. Derzeit quäle ich mich in Bern mit einer solchen Tätigkeit. Ich bin am Hauptsitz meines Kunden. Im Gebäude nebenan spielt aber die Musik. Meine Mitbewerber tanzen und brillieren. Ich hatte auch brilliert, ich hatte viel und geil getanzt. Aber für mich ist die Party vorbei. Ich bin selber gegangen.

    So war ich heute sehr bemüht, einige Formulierungen zu erfinden, einige Trends zu orakeln und einige Meinungen zu festigen. Aber wirklich produktiv und mein Geld wert war ich heute nicht. Das ist hier bloss meine Beichte. Möge man mir erbarmen. Heute war die Sehnsucht nach anderem grösser.


  • Ausweitung der Kampfzone

    Michel Houellebecq ist hier nicht besprochen worden. Vermutlich werde ich ihn auch nicht besprechen. Bei den Berufsjugendlichen habe ich ihn indirekt zitiert. Was soll ich von ihm halten?

    Ich habe zeitlang zeitgemässe Literatur boykottiert. Ich gönnte mir mal eine Ausnahme. Das war Abfall für Alle, quasi ein Proto-Blog. Das ist aber lange her. Es hat mich weder beeinflusst noch korrumpiert. Ich bin weiterhin rein.

    Als ich aber auf R. Sofas in Brüssel erwachte, sah ich Michels gesammelte Werke. Wohl Hess’ Katerlektüre. Natürlich war ich neugierig und habe Lanzarote angelesen und einige Tage später fertiggelesen.

    Nein, ich will immer noch nichts besprechen. Ich will bloss bedauern, dass er der gefeierte Erfolgsschriftsteller ist und ich nicht. Ich will nun nicht behaupten, ich hätte so etwas auch liefern können. Das wäre vermessen; weil wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es gemacht oder so, nicht wahr? Dennoch bin ich ehrlich neidisch.

    Mal schauen, lustigerweise gibt’s einige Parallelen und Gemeinsamkeiten.