Die Arbeit regelt das Leben. Umso wichtiger ist also eine geregelte Arbeit. Eine Arbeit strukturiert den Alltag. Ohne Alltag wäre ich längst versoffen. Ich würde in Oltens Gassen versumpfen; unter der Alten Brücke hausen, rasierte und geduschte Passanten anbetteln. Die geregelte Arbeit erleichtert mir das Leben.
Bald verliere ich meine geregelte Arbeit. Ich will sie gegen das Abenteuer Selbständigkeit eintauschen. Ich habe meinen Entschluss bestärkt, bekräftigt. Im Business Alltag kommuniziere ich neuerdings, dass man sehr wahrscheinlich mich im nächsten Jahr als Unternehmer betiteln darf.
Auch selbständig werde ich weiterhin arbeiten. Die Arbeit ordnet weiterhin mein Leben. Hier ändert sich nichts, vorläufig nichts. Als ich noch keine geregelte Arbeit hatte, musste ich mich selber orientieren. Niemand hat mich morgens irgendwo erwartet. Niemand hat meine Leistung gewürdigt oder eingefordert. Ich existierte; fern und abseits und unbemerkt.
Ich musste mich selber motivieren. Heute tröstet, dass ich Ende Monats einen anständigen Batzen ausbezahlt erhalte. Damals hatte ich kein Geld; ich war stets blank. Aber ich hatte mir einen Alltag irgendwie auferlegt. Ich weckte mich freiwillig bis allerspätestens um 09:00 Uhr. Ich las danach den Perlentaucher. Und schrieb.
Ich schrieb meistens bis ungefähr bis 11:00. Danach wusch ich mich. Weil ich musste einkaufen. Ich konnte bloss frisiert Oltens Gassen betreten. Ungeduscht, ungekämmt konnte man mich nicht herauslocken. Dieser kleine Zwang hege ich heute noch, aber ich toleriere mittlerweile auch Abweichungen und Ausnahmen.
Mittags ass ich immer dasselbe. Entweder kochte ich mir Teigwaren mit Fertigsaucen. Oder ich verschlang ein Fertigsandwich ausm nahen Discounter. Meine Nahrung war funktionalisiert. Ich wollte nicht geniessen, feinschmecken oder kosten. Ich wollte einfach überleben, weil funktionieren. Meine Nahrung war rasch verzehrt.
Anschliessend gönnte ich mir einen Mittagsschlaf. Ich lag im Bett und las meine Bücher weiter. Bis ich plötzlich eindöste und schnarchte. Ich programmierten meinen Linux-basierten Musikwecker allerdings. Dieser begrenzte meinen Mittagsschlaf; sonst hätte ich wohl den Tag verpennt. Man muss sich also bloss disziplinieren.
Nachmittags schrieb ich wieder. Ich las und schrieb. Was ich damals schrieb, kann ich heute aber nicht mehr lesen. Ich habe mich mittlerweile sehr entfremdet. Ich bin altersmilder, versöhnlicher und ausgeglichener worden. Ich war damals sehr radikalisiert. Ich verachtete die Privatwirtschaft, die geregelte Arbeit und alle die netten Nebeneffekte davon.
Und heute? Ich verfluche die Arbeit nicht. Ich freue mich wie alle anderen aufs wiederkehrende Wochenende. Auf diese kurze Zeit, die einen erlöst und entspannt. Ich möchte mein Geld verschleudern. Ich möchte nicht dauernd philosophisch mich erinnern, dass die Mehrheit der Menschheit hungert.
Ich bin heute angepasster, geregelter. Ich muss niemanden mehr beunruhigen. Schliesslich arbeite ich. Denn ich muss mich morgens ausm Haus zehren. Ich pendle. Ich muss in einem Büro sitzen, dort beraten und so. Abends darf ich heimkehren. Das Leben schenkt mir einen Feierabend; einige Stunden der totalen Selbstbezüglichkeit.
Ich muss weder philosophieren noch debattieren. Meine geregelte Arbeit entschuldigt mich. Sie legitimiert alles, auch dass ich bloss konsumiere. Deswegen schmäht mich niemand. Die Gesellschaft schätzt mich als Steuerzahler, als verschwenderischen Konsumenten. Als Produktivitätsbeschleuniger. Man respektiert mich.
Aber das befriedigt mich nicht. Weil ich weiss, wie rasch diese Anerkennung wegbrechen, sich verflüchtigen kann. Es hängt bloss davon ab, ob ich eine geregelte Arbeit habe oder nicht. Das verstimmt mich gelegentlich. Ich bedauere, dass die Gesellschaft mich bloss wegen meiner geregelten Arbeit wahrnimmt und würdigt.
Ja, die geregelte Arbeit. Derzeit schätze ich meinen gedämpften Arbeitsrhythmus. Ich arbeite minimalistisch. Ich bilde mich kaum beruflich fort. Ich investiere nichts. Weil ich einen nahenden Sturm erwarte. Denn bald überbeansprucht meine Arbeit mich wieder. Sie bannt meine gesamte Energie und Aufmerksamkeit.
Und zwar ziemlich bald. In wenigen Monaten muss ich mein Schreibpensum reduzieren. Ich muss stattdessen mich einlesen, mich vorbereiten und mich selber vermarkten. Ich wühle wieder an diesen Fachtagungen, ich fresse mich durch Apéros. Ich setze mein beinahe vergessenes Studium an der business school fort.
Bis dahin werde ich hier gewiss noch berichten, Erwartungsmanagement betreiben.