Autor: bd


  • Nochmals Brüssel

    Ich weilte erneut in Brüssel. Diesmal stürmte eine kleine futuristische Vereinigung die Stadt. Wir standen kurz vorm Endsieg. Doch eine neuere Dolchstosslegende verhinderte uns. Wir mussten abreisen und den Alltag empfangen. Anlass für eine kleinere Reflexion, willkommen.

    Brüssel faszinierte mich bereits im Sommer. Damals platzte der Brexit die schöne EU-Blase. Ein EU-Babylon. Ich war irgendwie dort und gleichzeitig irgendwie nicht. Brüssel sei das neue Berlin, wiederholte ich mich stündlich. Alle guten Sachen beginnen mit B: Berger, Bier, Burger, Busen, Büsi und eben Brüssel. Sei’s drum.

    Welche Sehenswürdigkeiten konnte ich abhaken? Keine. Ich war schon zweimal in Brüssel, aber irgendwie habe ich nichts gesehen. Freilich schlich ich ums Europa-Quartier herum. Mein Gastgeber wählte eine fast identische Route. Katerig, modrig und verletzt irrten wir durch die Stadt. Auf der Suche nach Bier und Burger.

    brussels-parlament

    Wir waren zu fünft entdeckend. Fünf Futuristen. Alle entschlossen. Wir wagten uns in eine grosse Stadt. Grösser als eine Nacht in Olten. Aber mit demselben Ausgang. Wir überraschten niemanden. Wir spielten unser Programm. Mit grossem Erfolg zwar. Wir wurden aus fast jedem Lokal gekickt. Sogar aus einem privaten, mehr oder weniger.

    Wir tranken. Und tagsüber lagen wir herum. Isotonische Getränke stärkten uns morgens. Eine Marihuana-Zigarette für den einen oder anderen. Als endlich eingedunkelt, durften wir wieder offiziell saufen. Bier, Wein und Schnaps. Alles natürlich durcheinander und wild. Zwischendurch tanzten wir. Wir plauderten mit Journalisten.

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    Mich beeindruckte vor allem ein Korrespondent der USA. Ein gepflegter, gut gekleideter Amerikaner. Aber mit einem Alkoholproblem offenbar, denn er trank nicht. In Vergangenheit hatte er wohl sich verausgabt. Das ist menschlich, das ist sympathisch. Manchmal muss man sich kurzzeitig disziplinieren und aufs Wichtig-Dringliche fokussieren.

    Etliche Fotos beweisen unsere Anwesenheit. Sie dokumentieren unseren gemeinsamen Exzess. Der allerdings einigermassen gesittet war. Wir haben nicht masslos übertrieben. Wir hatten den Endsieg schliesslich doch nicht errungen. Wir blieben stets eingespurt, eingerastert. Alles war einigermassen kontrolliert und beherrscht.

    Wir altern. Würdevoll, aber dennoch altern wir. Wir haben unsere Rückzugsräume geschaffen. Wo wir gelegentlich einbrechen, um auszubrechen. Doch wir funktionieren weiterhin. Montags ist alles vergessen. Manche Schmerzen erinnern einen noch. Aber grundsätzlich ist Brüssel überstanden. Man kann wieder arbeiten.


  • Der wahre Wirtschaftsdschungel

    Du glaubst, deine Branche sei ein Dschungel, ein Überlebenskampf, ein Ringen der Fittesten? Dann kennst du meine nicht. Ich arbeite in der wohl kompetitivsten Branche überhaupt. Keine Eintrittshürden schützen unseren Markt. Jeder kann tausend Zertifikate anhäufen. Jeder kann eintreten, kann erobern. Willkommen.

    Wir vernichten uns gegenseitig. Einige globale Unternehmen dominieren den weltweiten Markt. Sie diktieren die Bedingungen. Es sind die supranational-vernetzten Unternehmen. Sie liefern in den USA, PowerPoints verschönern sie in Indien, während der Rest döst. Solche Unternehmen schlafen nie. Deren Berater bevölkern die Business Class.

    Lokal-superflexible Unternehmen agieren von einer secure base; sie begründen ihren Erfolg aufgrund persönlichen Beziehungen. In der Schweiz nennt man solche Verwicklungen auch Filz. Sie überleben, weil sie sich kennen. Weil sie einander Business zuschanzen. Die grossen und maturen Kunden schützen sich dagegen mit einem zentralisierten procurement.

    Du kommst nicht rein, wenn du deren Eignungskriterien nicht erfüllst. Diese Kriterien passen wiederum immer bloss auf einen bereits auserwählten Kreis. Sie werden der Form halber publiziert. Wenn du diese Barriere meistert, bist du drin. Dann besitzt du eine Lizenz zum Rechnungsdruck. Ansonsten bist du draussen, kannst die Porsches beneiden.

    Doch auch innerhalb eines Unternehmens bist du nicht gesichert. Du musst deinen Status täglich beweisen. Du bangst täglich um deinen rank. Jederzeit könntest du herabgestuft werden, wenn deine Leistung nicht brilliert. Du musst deine internen stakeholder bezirzen. Du musst reach und impact erlangen. Ansonsten wirst du fern der pompösen Zentrale abgestellt.

    Dort vermoderst du; in der Pampa. Du erscheinst nicht mehr auf den grossen Listen. Du wirst nicht mehr eingeladen. Du wirst nicht mehr hofiert. Die Leute meiden dich dann. Du bist bloss noch eine cash cow, die man noch einige Jahren abschöpft, bis du frustriert kündigst und wegen des allgemeinen Konkurrenzverbotes nirgends mehr angestellt werden kannst.

    Es sei denn, du kaufst dich frei, du entschädigst deinen ehemaligen Pimp für den potentiellen Umsatzverlust. Oder du wirst befördert; steigst im Schneeballsystem auf. Du erklimmst die Pyramide. Weiter oben kannst du abkassieren und die Untergebenen melken. Du kannst herunterkacken, deine buddies quälen, die KPI billable days verschärfen.

    Irgendwann ehrt man dich als potentiellen Partner. Du musst allerdings zuvor innerhalb eines Jahres den Wert des Unternehmens verdoppeln. Für einen überteuerten Preis kannst du dich daraufhin einkaufen. Aufgrund des immensen cash outs musst du dich aber privat verschulden. Dennoch masturbierst du heimlich zu deinen 1%-Anteilen.

    Eventuell brichst du zwischendurch aus, du verbrennst. Deine Energie schwindet. Du willst dich irgendwo retten. Ein langweiliger Job kann dich trösten. Du wechselst die Branche. Du desertierst zum mittleren Management. Dort darfst du Excel-Tabellen verwalten. Dort darfst management by objectives praktizieren. Dort darfst du um fünf Uhr heimfahren.

    Allenfalls trennt sich deine Frau. Du entfremdest dich von deinen Kindern. Du verlierst deine Freunde. Du vereinsamst. Du berauschst dich an Firmenfeiern. Polterst dort herum; trinkst, rauchst und kokst mit der Sekretärin. Du willst dich beleben. Doch du bist längst erloschen. Bald erleidest du einen Herzinfarkt. Danach forderst du eine Auszeit.

    Diese Branche ist verflucht. Ich bin dann mal weg.


  • Der Cäsarismus der Gegenwart

    Wenn Politiker einer Nation verpasste und vergangene Grösse versprechen, dann erinnert das mich an einen Cäsarismus im klassischen Sinne. Allein, dass man Grösse wiedererlangen muss, bestätigt, dass man keine mehr hat. Der Wahlspruch eines fernen Politikers also befremdet mich.

    Ich bedauere nicht den Zusammenbruch der Sitten, die Sinnlosigkeit unserer Kultur und die Ausschweifungen der Jugend. Ich habe jüngst meine Generation erklärt. Ich verurteile nicht, dass die westliche Zivilisation allmählich den uneingeschränkten und bedingungslosen Führungsanspruch verliert. Ich warte, ich harre bloss.

    Die hier regelmässig bemühte NZZaS diskutiert den Cäsarismus eines fernen Politikers vielmehr aus der Innensicht. Der ferne Politiker legitimiert sich, weil er interne, vermeintlich dekadente und überholte Strukturen als “starken Mann” überwinde. Damit bestärkt er seine Anhänger, er werde der Nation verpatzte Grösse zurückbringen.

    Freilich zitiert man antike Parallelen. Der Begriff Cäsarismus impliziert das. Doch ich möchte keine Innensicht anstreben wie die NZZaS. Ich möchte die Aussensicht der aktuellen Entwicklung befragen. Wieso kann bloss ein Cäsar die westliche Zivilisation erlösen, sie wieder in wirtschaftliche und moralische Prosperität führen?

    Gemäss Spengler heilt eine autoritäre Regierungsform die sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Verletzungen einer demokratisierten Gesellschaft. Sie ordnet. Sie entscheidet, sie schafft. Die Politik triumphiert ein letztes Mal übers Kapital. Der Mann feiert seine Entschlossenheit und Handlungsvollmacht.

    Wir “verdienen” einen Trump. Eine graue, fleissige, durchbürokratisierte und unaufgeregte Hillary fesselt weder, noch fasziniert oder empört sie. Gewiss kann man sie wegen Emails und sonstigen wirtschaftlichen Verwicklungen anprangern. Doch das kratzt bloss; das ist kein tiefes Entsetzen, kein echter Skandal, der alle betrifft und eine Meinung bildet.

    Die westliche Zivilisation “verdient” gleichfalls gegenläufig klassisch cäsaristischen Diktatoren. Assad, Erdogan und Putin haben sich beworben. Sie können alle ihren Zweck erfüllen. Das chinesische Führungssystem kann ich persönlich nicht durchblicken. Ob dort ein Cäsar sich entpuppe? Ein starker Mann, der eine gespaltene Nation eint?

    Unsere cäsaristischen Gegenspieler ermahnen uns, dass wir uns fokussieren sollten. Dass wir beschlussfähig regieren sollten. Sie erinnern uns, dass unsere spätkapitalistischen Gesellschaften jederzeit auseinanderbrechen können. Sozial sind wir bereits heute fortgeschritten fragmentiert.

    Wir haben uns längst gegenseitig entfremdet, auseinandergelebt. Wir erdulden uns einigermassen. Doch sobald sich unser wirtschaftliche Situation verschlechtert, könnten auch wir uns radikalisieren. Dort, wo die Globalisierung besonders hemmungslos wirkt, vergrössern sich die sozial-gesellschaftlichen Fronten.

    Ein Trump begreift das nicht. Er kann diese grosse Umwälzung nicht erfassen. Er muss auch nicht. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort positioniert. Die USA gleichen einem verletzten Tier. Noch sind die USA nicht erlegt. Deswegen werden sie bald einen bestimmen, der sie “nur noch einmal” aufpäppelt. Zum letzten, aber bereits verlorenen Gefecht.


  • Die bedingungslose Liebe

    Bedingungslos zu lieben bedeutet, dass man liebt, ohne dass man die Liebe an Bedingungen knüpft. Dass ohne deren Erfüllung keine Liebe mehr fliesst. Dass wahlweise Liebe man minimiert oder sofort entzieht. In der Praxis aber koppeln wir Liebe immer mit Bedingungen. Wir sind so konditioniert.

    Beispielsweise belohnen die Eltern ein gutes Benehmen eines Kindes mit Liebe, bestrafen andere, vermeintlich ungünstige oder anstössige Verhaltensmuster mit Liebesentzug; mit Ignoranz oder Ablehnung. Das Kind lernt, das Kind lernt sich anzupassen. Das Kind schliesslich verinnerlicht solche Muster.

    Also verzahnen auch wir Erwachsenen Liebe mit allerlei Bedingungen. Der Partner muss sich ansprechend kleiden beispielsweise. Der Partner muss mindestens eine gewisse Grösse überschreiten. Der Partner muss täglich uns Komplimente herantragen. Der Partner muss uns stets bestätigen und nicht hinterfragen. Und so weiter.

    Die grösste Bedingung allerdings ist, bloss so viel zu lieben wie man geliebt sich fühlt. Man steuert seine eigene Liebesintensität aufgrund einer ohnehin vagen und fragilen Wahrnehmung einer Liebesintensität eines Partners. Man reguliert die Liebe aufgrund schlichten Annahmen, die nicht reproduziert werden können.

    Ich empfehle, bedingungslos zu lieben. Zwar riskiert man damit, dass die Liebe entweder nicht oder nicht ausreichend erwidert wird. Oder dass man einen Liebesamok läuft; blind herumliebt und -tollt, ohne Resonanzen zu berücksichtigen. Aber man spielt keine undurchsichtigen und nicht formalisierten Spielchen.

    Man quält den Partner nicht. Man erleichtert, vereinfacht das eigene Liebesleben. Man verkompliziert nicht seine Gefühle. Sondern liebt einfach. Ohne Widerrede, ohne Bedingungen. Und das ist irgendwie schön in einer von Liebe armen Welt.


  • Angststörung nach negativem Feedback

    Manchmal fürchte ich mich vorm Scheitern. Daher beginne und starte und wage ich nicht und nichts. Ich zaudere und hadere. Ich riskiere nichts. Ich übertreibe nicht. Ich investiere nicht. Ich warte bloss, ich friste. Ich hoffe, dass der andere mich führt. Ich kenne mein Muster. Ich vergleiche das mit der Schule.

    Du bist vorwitzig, beantwortest eine Frage eines Lehrers. Aber leider irrst du. Fürderhin schweigst du. Du willst dich nicht mehr exponieren. Dein Fehler beschämt dich. Du bevorzugst also die Passivität und harrst, bis jemand dich wieder auffordert, deine Meinung kundzugeben.

    Manchmal fühle ich mich auch so; in gewöhnlichen wie ungewöhnlichen Alltagssituationen. Ich fürchte mich momentan vor einer gewissen Annäherung. Aber eigentlich müsste ich mich annähern, um Gewissheit zu erlangen. Denn wie bei einem Aidstest muss im positiven Falle der Test wiederholt werden.

    Ich muss also meine Versuche repetieren, mindestens dreimal, bis ich mich vergewissern darf. Bis ich mich festlegen darf, dass ich gescheitert bin. Ich gebe manchmal zu rasch auf. Manchmal auch nicht. Aber manchmal eben schon. Immer wenn ich direktes, negatives Feedback erhalte, das mich berechtigterweise bemängelt.

    Ich will mir hiermit Mut einreden, dass ich meine Versuche nochmals starten solle. Gewisse Versuche stapeln sich im Backlog. Sie erinnern mich an meine eigene Unzulänglichkeit in einer Domäne, die mir zuvor ziemlich zugewandt und vertraut schien. Bevor ich also kapituliere, billige ich mir noch eine weitere Chance.

    Direktes Feedback hin oder her. Das vermeintlich negative Feedback soll mich nicht einschüchtern. Sondern anspornen, mich zu verbessern, mich zu ändern. Es soll mich nicht deprimieren. Es soll mich nicht hemmen. Schliesslich tüftle ich auch beruflich solange, bis ich glücke. Wieso nicht auch privat?


  • Wie dominant bin ich?

    Dominiere ich? Oder werde ich dominiert? Beeinflusse ich? Oder werde ich beeinflusst? Ich kann’s nicht abschliessen. Leider bin Sowohl-Als-Auch. Und leider gleichzeitig. Ich kann dominieren, werde aber gleichzeitig dominiert. Ich kann beeinflussen, werde aber dadurch gleichzeitig beeinflusst. Ich kann’s nicht eindeutig klarstellen.

    Man attestiert mir einen gewissen Hang zu leicht dominanten Frauen. Das bestätige ich. Ich bevorzuge keine reinen Subs. Ich mag fordernde Frauen. Sie dürfen mich gerne zuweilen auch überfordern. Sie dürfen meinen Grenzen und Möglichkeiten ausreizen. Sie dürfen mich durchaus begrenzen. Sie dürfen mich spüren lassen, dass ich menschlich bin.

    Ich möchte niemanden, der mich pausenlos überhöht, vergöttert, anbetet oder alles tut. Das möchte niemand. Das ist unattraktiv, sagt man und sage ich. Hier muss man ein Gleichgewicht bewahren. Man muss wechselwirken. Mal dominieren, mal dominieren lassen. Ausgleichen, ausbalancieren.

    Fast alle Frauen, die ich liebte, beherrschten diese Kunst. Sie konnten einerseits mich beeinflussen, wurden zeitgleich von mir beeinflusst. Ich kann solche Situationen nicht spieltheoretisch formalisieren. Ich kann bloss meine bescheidene Literatur bemühen, um diese Wechselkräfte zu veranschaulichen, die aufeinanderwirken.

    Ich schaffe eine Allegorie mittels der doppelten Buchführung. Man darf meinen Versuch belächeln. In der Liebe versagen meine Worte, obwohl alle Musik sie besingt, alle Literatur sie beschwört und alle Kunst sie abstrahiert. Die Herkunft der Liebe verbuche ich passiv, die Verwendung aktiv. Jede (Liebes-)tat muss auf der Aktiv- wie Passivseite kontiert werden.

    Die Herkunft der Liebe ist ein Vorschuss; ein Vertrauensvorschuss. Ein Wohlwollen. Ein Gutdünken. Ein Verliebtsein aber auch. Jede Liebe lebt, zehrt davon, manchmal jahrezehntelang. Diese Herkunft investierst du; in die Verwendung. Das können klassische Bekundungen sein. Aber auch gemeinsame Ferien, Mobiliar, Immobilien und so weiter.

    Aktiv- und Passivseite müssen stets ausgeglichen sein. Jede aktive Liebe muss also passiv finanziert sein. Aktivsein bedeutet, dass man sich dominieren lässt. Passivsein bedeutet, dass man dominiert. Und damit sein grössenwahnsinniges Ich befriedigt, das seine Umwelt, seine Natur beherrschen und kontrollieren möchte.

    Eine Beziehung sollte ja positiv erfolgswirksam sein. Und nicht bloss die Aktiven oder Passiven tauschen oder eine Bilanz verkürzen oder verlängern. Das ist nicht nachhaltig, kann womöglich augenblicklich glücken. Aber so überlebt keine Beziehung. Damit eine Beziehung erfolgreich wirken kann, muss sie arbeiten.

    Die Beziehung arbeitet im und mitm Wechselwirken. Sie arbeitet in der Kunst, zu dominieren und sich dominieren zu lassen. Das erwärmt, das belebt. Ansonsten verkleinert sich die Bilanz; sowohl aktiv wie auch passiv. Das verelendet die Beziehung, da die aktiven Formen der Liebe verarmen, weil sie nicht mehr passiv gedeckt sind. Sie stirbt langsam, aber stetig.

    Das gegenseitige und wechselwirkende Dominieren also verjüngt, kuriert und erneuert schliesslich eine Beziehung. Man muss spüren und sich spüren lassen gleichzeitig. Manchmal nachgeben, manchmal einfordern. Entweder neue Absatzmärkte erobern oder neue Produkte der gemeinsamen Liebe entwickeln. Und stets die Liquidität achten.

    Wieder zurück. Was will ich damit eigentlich aussagen? Ich will darlegen, dass ich Sowohl-Als-Auch bin. Ich bin dominant. Aber ich werde auch gerne dominiert. Weil ich überzeugt bin, dass das eine Beziehung verschönert und streckt. Man muss schliesslich stets sich gegenseitig reizen, necken und herausfordern.


  • Der frivole Sex-Roboter

    Ich erwarte, dass die menschliche Sexualität bald befreit werde. Befreit werde vorm Zwang und Zweck der menschlichen Reproduktion. Ich knüpfe hier an Houellebecqs nurmehr möglichen Möglichkeit einer Insel. Sexualität als Antidepressiva fasziniert mich. Dass kürzlich die NZZaS über Sex-Roboter aufklärte, bekräftigt mich. Sehr schön!

    Gewiss verängstigt uns, dass Sex-Roboter dereinst Perversionen befriedigen können. Perversionen, die den gegenwärtigen Konsens unserer Moral unterminieren. Ein Kinder-Sex-Roboter? Ein Würge-Sex-Roboter? Ein Keller-Sub-Roboter? Ein Analdehn-Roboter? Etliches ist denkbar, wenn man das Internetz als Referenz wertet.

    Bekanntlich fürchte ich mich nicht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Sex-Roboter den Sexmarkt disruptiv radikalisieren. Eine kleine Minderheit frönt “realen” Sex, gleichwohl ob käuflich oder nicht. Eine grosse Minderheit muss virtuellen, mechanisierten Sex tolerieren. Wir vergrössern die Zwei-Sex-Klassen-Gesellschaft, die bereits heute sich ankündigt.

    Aber die Sex-Roboter können die Menschen trösten. Wir müssen gleichzeitig bloss in die künstliche Reproduktion investieren. Wir müssen endlich einen Menschenpark entwerfen und bauen. Alle Sex-Revolutionen bedingen eine verbesserte künstliche Reproduktion. Wir müssen die natürliche Auslese perfektionieren.

    Ich fordere deswegen, dass wir Menschenfabriken mindestens anstreben. Gewiss werden wir noch etliche Jahrzehnte darin forschen müssen. Doch alle grossen Menschheitsprojekte sind nunmal aufwändig und intensiv. Siehe ITER oder ISS oder CERN oder UNO oder EU. Diese Projekte glückten erst Jahrzehnte später oder womöglich Jahrhunderte. 


  • Was verängstigt uns?

    Eine Vertreterin unserer Generation bezichtigt unserer Generation, dass wir verängstigt seien. Ich mag nicht, wenn Journalisten meine Generation porträtieren. Sie kreuzen Allgemeinplätze. Sie fürchten, das wahre Wesen zu benennen, zu beschreiben, das unsere Generation geiselt. Nun ich.

    Wir fürchten nichts und niemanden. Everything goes, wir fokussieren aufs Private und Persönliche. Wir wollen keine Welt retten oder verändern. Wir können ja nicht einmal unsere Liebsten beeinflussen. Wir wollen uns nicht engagieren oder bewegen. Wir wollen stattdessen konsumieren, feiern und kopulieren. Wir wollen beschleunigen.

    So empfinde ich unsere Zwischenzeit. Wir können weder Utopien noch Dystopien entwerfen. Wir haben andere issues, die uns beschäftigen. Wo versündigen wir Silvester? Wohin können wir noch verreisen? Wie kleiden wir uns morgen? Wen küssen wir abends? Wo arbeiten wir im nächsten Jahr? Wem schreiben wir Kurznachrichten? Wann heiraten wir?

    Wir zelebrieren den Hedonismus. Unsere Vorfahren ackerten, schufteten, krampften. Wir verprassen. Wir erleben einen einzigartigen Höhenpunkt sozialer Sicherheit, sozialer Chancengleichheit. Unsere Volkswirtschaft häuft Milliarden; uns geht’s verdammt gut. Wir müssen nichts bedauern oder bereuen. Wir müssen uns nicht sorgen.

    Ich billige diese ganz futuristische Massenbeschleunigung. Wir rasen unaufhaltsam. Ich verwette mein Leben, dass wir unsere Geschwindigkeit dereinst mässigen werden. Aber nicht heute, noch nicht heute. Wir wollen Alkohol trinken und Zigaretten rauchen. Wir wollen unsere Jugend verblühen. Wir sind befeuert.

    Denn wir wissen, dass die Vergänglichkeit bald uns einholen wird. Diese Zwischenzeit endet. Wir können aber keinen Zeitpunkt orakeln. Müssen wir auch nicht. Wir schmieden keine Weltgeschichte in persona. Der grosse Schirm westlicher Überlegenheit schützt unsere Lebensläufe, rechtfertigt unser Vergessen und legitimiert unseren Rausch.

    Ich werde keinen Weltuntergang prophezeihen. Die Welt kann nicht untergehen. Die Menschheit wird Atomkriege, Naturkatastrophen, Selbstverstümmelungen überleben. Wir können genetisch uns aufwerten, wir können Reichtümer verschieben. Wir können Grenzen versetzen. Wir können Neuland besiedeln.

    Ich kann mich nicht sorgen. Ich kann mich nicht fürchten. Ich bin weder eingeschüchtert noch verängstigt. Ich blicke erwartungsvollst und freudigst unserer und vor allem auch meiner Zukunft entgegen. Ich freue mich. Niemand muss sein Leben kastrieren, niemand muss sich einschränken. Everything goes.


  • Die schweizerische Egalität

    Die Schweiz entstand aus der Ablehnung. Die Urschweizer verneinten die adlige Fremdherrschaft. Einige Bauer verbrüderten sich. Sie schworen Treue. Seitdem war die Schweiz unabhängig. Sie ist es formal auch noch heute. Aber die Globalisierung durchdringt alle Lebensbereiche; nivelliert Kulturen und Unterschiede.

    Die Schweiz war eine wilde Horde unregierbarer Bauer. In den grösseren Städten etablierten sich scheue Patrizier. In den mehrheitlich protestantischen Städten dominierte eine beflissene Arbeitsethik. Die Handwerker regierten. Fleiss und Ordnung sind berühmte Sekundärtugenden der Schweiz.

    Diese schimmern bis heute durch. Die Schweiz definiert sich durch Arbeit und Fleiss. Herkunft und Abstammung sind, sofern schweizerisch, unerheblich. Wir hatten keinen Adel, wir hatten keine obszöne Oberschicht. Niemand garantiert unseren Bundesräten einen Sitzplatz im IC von Zürich nach Bern. Unsere Politiker sind mehrheitlich Milizionäre.

    Das ist eigenartig. Wir sind die perfekten Dienstleister. Wir hofieren alle Menschen, vorzugsweise die reichsten der Welt. Wir sind die produktivste und profitabelste Volkswirtschaft in der westlichen Hemisphäre. Wir finanzieren diverse Länder, unter anderem stabilisiert die SNB den gesamten Euroraum.

    Ich mag die Schweiz, weil wir eine egalitäre Gesellschaft sind. Wir haben keine echten Eliten. Die Neunziger haben auch uns zwar einigermassen beeinflusst; seitdem ist Zürich nicht mehr eine biedere Bankenstadt, sondern auch für Vergnügungen, Küche und Sex bekannt. Seit den Neunziger darf man auch Schmuck öffentlich tragen.

    Wir sind ein spannendes soziales Experiment. Das Experiment glückte grösstenteils. Aber ja, die Globalisierung begradigt auch uns, damit wir konformer werden. Ich beobachte diese Entwicklung aufmerksam. Der Aufstieg der SVP korreliert mitm Einfluss der Globalisierung. Aber ich bin zuversichtlich.

    Denn eine gewisse Eigenheit werden wir immer bewahren können, wenn wir den nächsten Generation das Richtige richtig vermitteln. Wenn wir klarstellen können, dass egal wer du bist, woher du bist, dass everything goes. Du kannst alles hier erreichen. Oder wie mein Kollege A. am 1. August auf Facebook wiederholt:

    Nur in der Schweiz kann ein albanischer Bauernsohn an einer Universität studieren und als Manager aufsteigen.

    Das ist so und gilt weiterhin. Hier ist alles möglich. Deswegen mögen uns so viele. Man muss sich bloss anpassen und Demut zeigen.


  • Die Dinge erledigen

    Ich geniesse derzeit eine Zwischenzeit. Ich verzögere einige Aktivitäten, einige issues, die bald unvermeidbar sind. Das ist zwischenzeitlich allen bekannt, mehrfach auch in diesem Blog erwähnt und durchdiskutiert worden. Ich geniesse meine Schonfrist, eine gesunde Ruhe vorm Sturm.

    Ich möchte darlegen, wie ich meine Dinge erledigen. Ich verkaufe das Konzept des letzten vernünftigen Moments. Bis wann kann ich eine Aufgabe aufschieben, bis wann kann ich eine Entscheidung vertagen, bis sie nicht mehr vernünftig erledigt werden kann? Das herauszufinden ist meine grosse Lebenskunst.

    Mein Leben ist bewegt. Ich erinnere mich gerne an mein comeback im 2008, das sehr rauschhaft und fantastisch war. Ich verschleuderte alles. Doch bereits im 2009 musste ich mich wieder einordnen; ich startete meine erste Weiterbildung nach der Grundausbildung. Diese dauerte berufsbegleitend drei Jahre.

    Danach wechselte ich die Seiten; zum Lieferanten. Ich lernte einen T. beim Rauchen kennen. Ich folgte ihm. Ich war fortan im Kreis 1 festangestellt. Ich reiste quer durch die Schweiz. Sammelte Zertifikate, besuchte Fortbildungen, referierte an Fachhochschulen und Fachtagungen.

    Ich arbeitete unermüdlich. Ich lernte und las viel. Ich hatte einige Innovationen erfunden, die heute Standard sind bei grossen Unternehmen. Ich überraschte mit Kreativität, Ausdauer und Verlässlichkeit. Man schätzte mich als einen beflissenen und strukturierten Mitarbeiter. Ich war der Backlog-Gott.

    Seit ich im September mein letztes CAS abgeschlossen habe, seit ich meine Facharbeit zuhanden eines internationalen Standardisierungsausschusses verhauen habe, seit ich mich privat neu orientierte, seit ich gekündigt habe, spare ich meine Kräfte und Energie für den nächsten Schritt.

    Ich erledige meine Dinge sorgsam und ausgewählt. Mein Backlog wächst dadurch. Aber das ist gut so. Ich erhole, entspanne mich. Ich geniesse derzeit wahrhaftig unbeschwerte Momente. Das schlechte Gewissen plagt mich manchmal, es überfällt mich. Manchmal erinnere ich mich, dass ich noch dies und das zu bewältigen habe.

    Aber ja, ich gewähre mir noch eine kurze Frist. Bald geht’s los. Bald werde ich wieder dampfen und rauchen müssen. Bald werde ich mich beruflich und schulisch verausgaben müssen. Ich sehe mich bereits allabendlich Dokumente studierend, zitierend, kalkulierend, akquiriered, netzwerkend.

    Ich bin ein Mann unter Strom, ich bin befeuert. Ich bin hungrig. Lebenslänglich arbeiten und lernen bejahe ich. Auch später, als verkommener Schriftsteller dann, werde ich niemals haushalten oder mich einschränken. Ich werde immer exzessiv mich weiterbilden. Ich strebe, ich bin zielstrebig. Ich werde meine Werke schaffen.