Autor: bd


  • Meine Masterarbeit

    Ich habe die visionäre Idee beerdigt. Ich habe den Beratungsautomaten vertagt. Vermutlich in einer Doktorarbeit werde ich ihn thematisieren. Doch bis dahin ist das einzigartige Zeitfenster geschlossen. Bis dahin haben andere Jünglinge das verwirklicht und werden den Markt erobern. Oder ich werde den Beratungsautomaten on top entwickeln.

    Ich muss haushalten. Ich kann nicht gleichzeitig ein Unternehmen begründen, das 50-60 Stunden pro Woche Aufmerksamkeit in der Woche erfordert, den prallen privaten Backlog serialisieren und nebenbei eine Masterarbeit im Umfang von 200-300 Stunden ausformulieren. Ich muss priorisieren. Und ja, ich habe mich entschieden.

    Ich reduziere meine Ansprüche an meine Masterarbeit. Dort schade ich niemanden. Obendrein riskiere ich weniger, wenn ich ein bescheidenes Thema wähle. Meine Arbeit mag dann nicht überragen, aber ich werde bestehen und vor allem körperlich überleben und mich nicht in Bewusstlosigkeit schuften wie bei der letzten Diplomarbeit.

    Ich möchte gerne Consulting Services evaluieren, die dem Schlagwort Agile HR entsprechen. Darin sind die veränderten Management-Techniken versammelt, um Menschen heutzutage und insbesondere im agilen Umfeld führen zu können. Was bedeutet Führung in diesem Kontext und wie kann diese veränderte Führung vermittelt werden.

    Ich zitiere die Klassiker der transformationalen Führung. Ich vermenge diese Thesen mit jenen des agilen Manifests. Und versuche damit ein guidance für Führungskräfte zu skizzieren, wie sich innerhalb der agilen Organisation überleben können. Oder so, und diese Ideen möchte ich gerne in Consulting Services veranschaulichen und testen.

    Das Thema ist auch wichtig und dringend, aber leider nicht so disruptiv wie mein eigener Anspruch. Ich muss mich also mit einem verhältnismässig langweiligen Thema begnügen. Mit diesem Blogeintrag sensibilisiere ich zunächst mich selber. Aber gleichzeitig möchte ich die Erwartungen meiner Leserschaft dämpfen. Tut mir leid.


  • Matt

    Ich kann momentan nicht mehr denken. Ich kann in meiner Freizeit nicht mehr atmen. Der Brustkorb zerdrückt mich. Meine Beine sind schlapp; ich fühle mich schwer und unbeweglich. Ich muss jeden Atemzug bewusst quälen. Ich bin nicht mehr routiniert. Ich funktioniere körperlich nicht mehr.

    Ich habe keinen Appetit, weder auf Essen, auf Zigaretten, auf Alkohol, auf Frau. Ich bin lustlos geworden. Ich bin nicht mehr unbändig und grenzenlos. Ich bin nicht mehr ungestüm und leidenschaftlich. Ich bin nicht mehr futuristisch. Ich funktioniere beruflich zwar einigermassen, doch sobald ich ausstemple, bin ich niedergeschlagen.

    Ich kann mich nicht motivieren, ich kann mich nicht begeistern. Ich kann keine Reserven mobilisieren, denn diese verpuffen bereits in der Berufsarbeit. Ich weiss nicht, wie ich diese Woche durchstehen kann. Ich bin totalst erschöpft. Ich möchte weinen und alles abbrechen. Ich kann keinen Stress mehr bewältigen. Ich fühle mich wie verändert.

    Jeder Atemzug schmerzt. Meine Lunge schmerzt, mein Herz schmerzt. Meine Finger schmerzen. Meine Beine Schmerzen. Mein Körper hemmt mich, er zerbricht mich. Er vernichtet meinen Lebenswillen. Er trägt mich nicht mehr. Wir harmonieren nicht mehr. Er rebelliert, er leistet Widerstand. Diesmal er.

    Doch sorgt euch nicht; es sind bloss Nebenwirkungen eines Raucherentwöhnungsmedikaments. Ich darf nun die Dosis halbieren. Ich hoffe, bis Ende Woche bin ich wieder repariert. Bis dahin kann ich wieder leben, mich wieder befeuern, mich wieder interessieren und nicht mehr durchschleppen.


  • Unverbesserlicher Silvester

    Ich habe gehört, der letzte Silvester sei ausgeartet. Grundsätzlich alles normal. Jemand kotzte ins Fondue. Jemand zertrümmerte das Geschirr. Jemand brach das anfängliche Rauchverbot. Ich habe nicht teilgenommen. Ich kenne die Ereignisse bloss aus Zweitquellen. Doch die Muster sind mir vertraut, sehr vertraut.

    Wir streben seit jeher den maximalen Kontrollverlust. Wir wollen alles in einem Abend verdichtet und vor allem eskaliert wissen. Wir wollen Grenzen und vor allem uns selber spüren. Wir provozieren unser Umfeld solange, bis es empört und uns verurteilt. Manche bereuen daraufhin alles. Sie beschwören Besserung.

    Wir haben uns nicht gebessert. Wir werden vermutlich uns nie bessern. Jeder Abend riskiert, bedroht unsere Selbstbeherrschung. Wir sind nirgends und nie gesichert. Ich kann nachempfinden, wenn man die Handbremse löst und endlich beschleunigt. Ich kann das Gefühl dieser Freiheit und Ahnung eines freien Willens reproduzieren.

    Ich verstehe euch, wenn ihr eure Küchen zertrümmert. Wenn ihr eure Verwandten verärgert. Ihr müsst euch nicht entschuldigen. Wir müssten uns bloss einen Freiraum organisieren. Einen Raum bloss für Verrückte meinetwegen. Wo wir ungestraft uns ausgleichen und entspannen können. Oder wir experimentieren mit Yoga wie David.


  • Rauchfrei

    Ich schlucke Medikamente. Denn ich möchte das Rauchen beenden. Ich habe noch einige Tage zu rauchen. Danach möchte ich aufhören. Ich habe viel geraucht. Manche mögen beteuern, ich hätte zu viel geraucht. Ich richtete den Tagesablauf danach. Früher bemass ich Distanzen in Zigarettenlänge. Mein Arbeitsweg war zeitweise eine Zigarette lang.

    Oder viele Nächte habe ich verlängert, indem ich “bloss” noch “eine” rauchte. Ich organisierte meetings in verrauchten Lounges. Früher in Olten, als Atomstrom noch cool war. Als fette Gewinne Olten entspannte. Als die Stadt kompensierende Vorhaben projektierte. Wir rauchten dauernd und permanent. Beim Vorstellungsgespräch: “Rauchst du?!”

    Aber ja, alles vorbei. Das Rauchen begleitete einen Lebensabschnitt. Diesen Lebensabschnitt beerdige ich. Angemessen mit einer weiteren Zigarette. Nicht die letzte, höchstens für heute. Aber danach sicherlich für eine gewisse Frist. Ob ich später jemals wieder rauche, mag ich nicht prognostizieren. Mal sehen.


  • #IchAlsCEO

    Ich werde wohl demnächst eine kleine Serie #IchAlsCEO auf den beruflichen Netzwerken lancieren. Darin werde ich einige Thesen wagen, was ich als CEO ändern möchte. Eine übergeordnete Kampagne orchestriert diese Serie. Schliesslich amte ich intern neu als Creative Director. Ich kann mich austoben.

    Ich möchte gerne, dass die Schlüsselpersonen die Selbständigkeit beschwören. Noch mindestens im Januar. Gleichwohl die Branche bereits twittert, was geschah. Denn fünf top-shots haben die Firma verlassen. Sie konstituieren mindestens zwei Firmen, die mehr oder weniger direkt konkurrieren. Abmahnungen und Verfügungen folgen.

    Egal, man kann uns nicht aufhalten. Wir werden also guerillamässig unsere Unternehmenskultur skizzieren. Und uns plötzlich vereinen. Dann als Marke uns positionieren und die Kernbotschaft verdeutlichen. Das alles auf einer Landing Page vermengen. Und das Benutzerverhalten protokollieren. Oder so.

    Ich muss das noch ausdetaillieren. Ich freue mich zumindest. Ich möchte die Aufmerksamkeitsökonomie kitzeln. Was ist im B2B-Umfeld möglich? Ich konnte bereits mitm letzten Arbeitgeber das Hipstertum etablieren und bewerben. Mittlerweile sind bloss noch die grossen Unternehmensberater bieder und langweilig – und verlieren Marktanteile.

    Die kleinen sind allesamt agil, hip, grossstädtisch, beinahe vegan. Sie tanzen in der Zukunft statt im Aura. Sie residieren an der Oltner Neuhardstrasse statt am Zürcher Rennweg. Sie speisen im Bebek statt im Widder. Die grossen Mitbewerber können sich bloss noch mit hungrigen deutschen Immigranten verjüngen. Ihr Marketing langweilt.

    Doch ein deutscher Kollege, den ich vor Jahren fachlich und sozial grossgezogen habe, möchte anheuern. Er verzichtet aufs Renommee an der Cocktailparty, bei einem der vier Grossen verdingt zu sein. Stattdessen will bloss cool, selbstbestimmt und lässig sein. So wie wir. So wie das Marketing, das ich verantworte.

    Kommt gut.


  • Neujahrswünsche

    Ich wünsche mir und der anonymen Leserschaft, den weiterhin maximal acht wiederkehrenden Lesern, ein ereignisreiches, erfüllendes und kompetitives Jahr. 2017 entscheidet nicht alles, doch kann dem einen oder anderen gewisse Wege bereiten und richten. Meine Bekannte wissen, womit ich 2017 herausgefordert bin.

    Ich habe mich in den letzten Monaten geschont, bishin zurückgezogen. Ich habe einigermassen gehaushaltet. Weil ich wusste, was mich erwartet. Ich muss nicht bloss einen Mastergrad abschliessen. Ich muss nicht bloss ein neues Unternehmen grossziehen. Ich darf auch privat mich weiterentwickeln und einen neuen Lebensabschnitt begrüssen.

    Ich möchte mich nicht überhöhen. Wir alle bewältigen Ereignisse. Manche sind verdichtet, ereignen sich konzentriert. Andere überkommen einen schleichend. Wir sind alle gefordert. Nicht bloss der Alltag oder die plumpe Gegenwartsbewältigung. Wir müssen uns stets hinterfragen, verbessern und wachsen. Wir können nicht stoppen.

    Wir alles müssen weitermachen, womit auch immer. Wir alle können nicht ruhen. Wir müssen unsere kostbare Lebenszeit klug investieren. Wir dürfen uns verausgaben, wir dürfen überdrehen und beschleunigen. Bloss so können wir uns trösten, dass wir überhaupt gelebt und uns ausgetobt hätten. Also, ich will Höchstgeschwindigkeit.


  • Soll ich klagen?

    Ich zögere noch, meinen ehemaligen Arbeitgeber zu verklagen. Ich habe mit ihm eine Konventionalstrafe vereinbart, die nicht zulässig respektive bestreitbar ist. Nicht die Konventionalstrafe an und für sich, sondern die Höhe der Zahlung. Ich könnte bestreiten, dass mein Arbeitgeber die totale Summe halbiere.

    Dazu muss ich allerdings den ersten Schritt wagen. Ich werde den ersten Stein werfen müssen. Momentan ist mein Verhältnis bloss angespannt, maximal nicht ganz unzufrieden. Sobald ich aber angreife, werde ich verwundbar. Noch verwundbarer als ohnehin. Ich weiss nicht, ob ich das riskieren möchte. Mein Anwalt weilt noch im Skiurlaub.

    Ich bin grundsätzlich nicht so der Kläger. Ich möchte gerne alles mit Geld regeln. Hätte ich ausreichend Geld, könnte ich meine Sorgen wegkaufen. Ich könnte die komplette Summe bezahlen. Doch das würde die Stimmung meines ehemaligen Arbeitgebers nicht weiter aufhellen. Er bliebe weiterhin maximal nicht ganz unzufrieden.

    Zudem ist die Schweiz klein. Ich werde meinem ehemaligen Arbeitgeber erneut begegnen müssen. Sei es an Fachtagungen oder wegen anderen Fällen vorm Gericht. Die Geschichte ist noch nicht beendet, vielmehr beginnt sie erst. Ich möchte mich eigentlich “im Guten” trennen. Doch ich habe Egos verletzt und Menschen enttäuscht.

    Mein ehemaliger Arbeitgeber muss derbe Verluste verkraften. Sein Umsatz bricht weg. Die Kosten aber bleiben. Die Büros und Anlässe müssen weiterhin irgendwie finanziert werden können. Neue Mitarbeitende sind zwar rekrutiert worden, diese sind aber eher mittelmässig und überragen nicht derart, dass der Markt sie automatisch begehre.

    Meine Konventionalstrafen könnte als Reingewinn verbucht werden. Ich habe alle finanziellen Ziele im letzten Geschäftsjahr längst übertrumpft. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat mindestens 150’000 CHF durch mich verdient, nach Abzug meiner variablen Kosten, ohne allerdings fixe Kosten zu berücksichtigen. Doch diese werden ohnehin geteilt.

    Was soll ich nun tun? Ich kann mich nicht entschliessen. Aber mein Instinkt will mir weismachen, dass ich klagen soll. Ich muss das konsequent durchziehen; meine Rechte einfordern und die Konventionalstrafe verkleinern. Diese würde mich sonst privat massivst verschulden. Mein Bonus ist bereits zurückgehalten worden.


  • Die Bedeutung des Rauchens

    Rauchen befreit. Das verspricht die Werbung. Rauchen tröstet und belohnt. Rauchen begleitet uns. Sobald erwacht, rauchen wir. Bevor wir schlafen, rauchen wir. Nach dem Geschlechtsverkehr rauchen wir. Manchmal auch davor. Ich rauche oft, nicht permanent. Ich rauche seit über zehn Jahren; vermutlich zu lange.

    Ich habe Rauchen immer an einen Lebensstil geknüpft; an einen Abschnitt. Das wilde, unbeschwerte und dionysische Leben. Ich habe nie Genuss, Exzess und Kater gemieden. Ich habe sie alle begrüsst; ich habe stets beschleunigt. Ich habe getanzt, gekrächzt; ich habe Herzen gebrochen und verletzt. Ich lief Liebesamok.

    Ich habe mich nie beschwert. Und ich war rauchend. In meinem Bildarchiv des aktuellen Jahrzehnts sieht man mich bloss rauchend. Wenn ich die letzten zehn Jahren zusammenfassen müsste, dann könnte ich antworten, dass ich geraucht habe. Und getrunken, gefeiert und gejubelt. Und dass ich nichts bereue.

    Ich ahnte aber bereits seit zehn Jahren, dass ich mich irgendwann mässigen werde. Ich werde mich niemals komplett aufgeben. Ich werde niemals als biederer Hausmann aufwachen, meine Nachbarin anlächeln und einen Gemüseauflauf vorbereiten, abends ins Studio eilen und dem örtlichen Gesangsverein teilnehmen.

    Man kann mich grundsätzlich nicht zähmen; ich entschleunige mich selber. Und das bloss, wenn ich will, wenn ich mich bereit und fähig fühle. Und wenn ich auch eine gewisse Dringlichkeit und Wichtigkeit habe. Wenn sich Prioritäten verschieben, wenn ich meine issues in meinem backlog anders ordnen und sortieren muss.

    Das Rauchen symbolisiert die Unbeschwertheit. Man schädigt sich, man fühlt sich unbesiegbar. Keine Krankheit kann einen bremsen. Nichts kann einen stoppen. Man kann nächtelang feiern, man kann sich mit der ganzen Welt verbrüdern. Man kann überall Leute kennenlernen und muss keine Folgen fürchten. Everything goes.

    Wir wissen alle, dass wir nicht ewigs so leben können. Wir sind zwar Berufsjugendliche, hausen in den grossen Städten. Wir sind vielseitig interessiert, weit gereist, wir sprechen mindestens eine Fremdsprache fliessend. Wir kennen Menschen überall, wir sind vernetzt. Doch wir müssen uns irgendwann wieder anpassen, wieder sesshafter werden.

    Ich möchte nicht alles mit dem Rauchen verknüpfen. Ich möchte nicht eine beziehungsunfähige Generation des Rauchens wegens bedauern. Ich möchte nicht die Unentschlossenheit der Gleichaltrigen des Rauchens wegens beklagen. Das ewige und viele Rauchen offenbart aber eine gewisse Gleichgültigkeit.

    Rauchen simuliert Lässigkeit. Rauchen verzaubert. Rauchen kann vortäuschen, Sicherheiten vorgaukeln. Rauchen beruhigt und entspannt und tröstet schliesslich. Das nervöse Zeitalter bedroht denn auch. Wir müssen uns irgendwo festhalten. Wir müssen irgendwo unsere Unabhängigkeit und Individualität ausstellen können.

    Und das halt beim Rauchen. Hier können wir selber noch entscheiden. Wir richten. Ich rauche. Ich herrsche. Das muss nicht unbedingt Rauchen sein; Ersatzhandlungen können das fehlende Rauchen kompensieren. Man kann hier auch Extremsportarten verorten, die meine Gleichaltrigen fesseln und beschäftigen derart, dass sie nicht mehr rauchen.

    Wieso ich darüber berichte? Weil ich demnächst das Rauchen beende. Medikamente helfen mir. Ich muss mich abgewöhnen. Ich werde gleichzeitig einen Abschnitt langsam ausfransen, einen neuen dafür starten. Und dafür neue Freiheiten und Möglichkeiten und vor allem Optionen gewinnen.


  • Lage der Nation

    Das Jahresende naht. Üblicherweise reflektiert man. Bald folgen die grossen Reden, die wirklich bedeutungsvollen Reden, die man am dritten Januar wieder vergessen hat. Im Fernsehen wiederholen sich Listen. Diese verseuchen Fernsehen und Internetz. Sie sollen amüsieren, manchmal auch irritieren oder bloss verblüffen. Ich warte.

    Ich lasse mich nicht beeinflussen. Ich meide das Echtzeitfernsehen. Ich selektiere meine Medienkonsum mit RSS-Feeder. Manchmal spendiere ich mir die NZZaS, ein gemeinhin beachtetes Blatt. Die schweizerische Tagespolitik beobachte ich durch mein schmales Guckloch. Manchmal erheitert sie mich, manchmal langweilt sie mich auch bloss.

    Ich möchte keine Jahre der Entscheidung beschwören. Die Ereignisse vom 2016 kann man dramatisieren. Ich glaube, der Terror und der Isolationismus gewisser Nationen dominierten. Die Ereignisse bedrohen vor allem Europa, dieser unendliche Freizeitpark für die Reichen, Gebildeten, Kultivierten und Genussfreudigen dieser endlichen Welt.

    Die Schweiz ist zwar ebenfalls vernetzt, wir konsumieren, produzieren und beliefern. Wir sind durchwegs globalisiert; angeblich übertrumpft bloss noch Singapur die unsrige Wettbewerbsfähigkeit und den unsrigen Globalisierungsgrad. Die Ereignisse müssten uns also interessieren, doch sie können kaum. Sie dringen kaum durch.

    Manche rufen, schreiben und betteln dagegen. Das EU-Thema soll endlich uns beschäftigen. Auch der Terrorismus könnte einreisen. Man würde den Terroristen nicht einmal bemerken oder erkennen. Der Terrorist könnte sich verstecken, könnte von unseren Sozialleistungen knabbern und von unseren grosszügigen Frauen profitieren.

    Ich erwarte im 2017 nichts Besonderes. Die Welt dreht weiter. Die EU endet noch nicht, die NATO ebenfalls nicht. Auch Putin kann nicht Polen überrollen. Italien mag irgendwie Schulden ausgleichen. Griechenland lähmt sich weiterhin selber. Frankreich radikalisiert sich zunehmend, spaltet sich. Belgien ist längst gescheitert. Und Deutschland?

    In Deutschland könnte sich etwas verändern. Aber Deutschland hat bereits unzählige Söhne in fremder Gefangenschaft verloren. Die humanistische Mittelschicht Deutschlands kann eine Radikalisierung abwenden; sie kann versöhnen. Weil sie sich erinnert. Deutschland kann bloss sozial- oder christdemokratisch sein.

    Hedonisten oder Nationalisten werden Deutschland niemals alleine regieren können. Deutschland als politisches System erstrebt den Ausgleich. Im Einzelnen, in München, Hamburg oder Berlin freilich können sich einige Gruppierungen totalisieren. Die Hedonisten in den urbanen Altbauwohnungen, die Nationalisten im Speckgürtel.

    Ich fürchte diese Minderheiten nicht. Sie können poltern, aber niemals absolute Mehrheiten bilden. Sie müssten sich eigentlich verbrüdern, verschwören. Sie müssten sich zusammentun. Doch unüberwindbare Differenzen verunmöglichen einen Kompromiss. Sie werden sich vorerst nicht einigen, denn vorerst ist die Lage noch überschaubar.

    In der Schweiz entscheidet sich im 2017 nichts. Wir erwarten keine Veränderungen. Das ist der Vorteil unseres Systems. Wir sind sehr gemütlich getaktet. Veränderungen können nicht rasch umgesetzt werden. Wir gedulden uns. Wir können auch mal abwarten. Europa kann auseinanderbrechen; wir reagieren später. Dafür dann besonnen und ohne Aktionismus.

    In meinem Privatleben aber ändert sich im 2017 vieles. Anderes Thema.


  • Der Bürgerkrieg

    Die SVP siegt, der Graben zwischen Stadt und Land vertieft sich. Die ersten Städtler wollen ihre unabhängigen Republiken ausrufen. Die zersiedelte Agglomeration des Mittellands repräsentiert den neuen Feind. Das sind Pendler, Einfamilienhausbesitzer; das ist der verklemmte und bedrohte Mittelstand.

    Diese Menschen dominieren die politische Landschaft. Sie verwerfen Innovationen. Sie blockieren Weiterentwicklungen. Sie schliessen die Grenzen. Sie fürchten die grossen Städte; sie scheuen Langstrasse und Kleinbasel. Sie wettern gegen Expats, gegen internationalisierte Konzerne. Sie meiden Sushi-Bars.

    Die SVP besetzt im Kanton Aargau bereits 50% der Exekutive; die Legislative ist gleichsam unterwandert. Die Asylanten des Kantons werden in Aarburg einquartiert; eine neue Baracke nahe bei Olten. Dort stören sie nicht. Derzeit muss der Kanton Aargau 2’000 Asylanten versorgen. Die Bevölkerung sträubt sich; der Bund verordnet.

    Diese Asylanten verursachen Kosten. Sie verdrecken das Stadtbild. Wenigstens nur Aarburg, das ohnehin Olten angerechnet ist. Eine vergessene und verlorene Kleinststadt, vom feinen Sitz der Kantonsregierung in Aarau heraus betrachtet. Bereits längst verfault und mit dem dreckigen Olten verwachsen.

    Die UNO prognostiziert eine erneute Völkerwanderung. Der kleine Bürgerkrieg in Nigeria hat sich intensiviert. Die zweite Religiosität erfasst vor allem Drittweltstaaten und die Unterschichten der westlichen Zivilisation; die zweite Religiosität beseelt, begeistert den Menschen. Sie tröstet und rationalisiert, erklärt und vereinfacht.

    In Nigeria radikalisieren sich die Islamisten im Norden sowie die Christen im Süden. Beide Parteien streiten übers Rechtssystem sowie über die Ausbeutung der reichlich vorhandenen natürlichen Rohstoffen. Gegenseitige Lynchmorde, Mobs und Massenvergewaltigungen befeuern den Konflikt. Frauen und Kinder werden instrumentalisiert.

    Der fragile Mittelstand flieht. Damit entzweit sich das Land noch mehr. Der säkulare Mittelstand konnte noch versöhnen, ausgleichen. Er mittete das Land, fokussierte die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen. Doch dieser verblutet, ist ausgedünnt, weil geschändet und ermordet.

    Ebendieser Mittelstand überquert die Sahara, das Mittelmeer und beantragt Asyl. Technisch gut ausgebildet, mindestens zweisprachig, die renommiertesten kapitalistischen Hochschulen absolviert. Sie bestürmen unsere Grenzen. Sie schmälern unsere Gewinne, fressen unsere importierten Früchte und begatten unsere Frauen.

    Auch die Schweiz hat sich seit 2016 radikalisiert. Doch nicht der religiöse Konflikt; diese verstärkte zweite Religiosität, die ungemein versöhnt und Sinn stiftet. Wir haben die Religionen zurückgedrängt. Die Christen und Moslems fristen in bedeutungslosen Parallelgesellschaften; die Sekten und Freikirchen bedienen ebenso Minderheiten.

    Der wirtschaftliche Verdrängungskampf beschäftigt, besorgt den Mittelstand. Die grossen Städte florieren, sind der Welt zugewandt, begrüssen Einwanderung und Vielfalt. Das Mittelland idealisiert die heile, geschlossene Schweiz und den anständigen, weil erlernbaren Beruf. In Zürich bewältigen bereits 82% aller Jugendlichen die Matura.

    In Zeihen und Langnau entscheiden deren sich bloss 8%; sie begnügen sich mit der Berufslehre. Sie schreinern, zimmern, terrassieren und hämmern, sie verkaufen und dienstleisten. Sie arbeiten. Die gleichaltrigen Arbeitnehmer beraten, studieren, fantasieren, operieren, sie innovieren und erzählen. Sie bilden den Wasserkopf der Gesellschaft.

    Sie schieben skandinavische Holztische aufm behandelten Fischgrätparkett. Sie verpflegen sich gesund und bewusst; sie lästern über die MK-Tragetasche der provinziellen Damen. In Zeihen und Langnau pflegt man einen Garten; man besitzt zuweilen Eigentum oder erbt mindestens. Man mäht und hegt.

    Dieser Gegenstand verschlimmerte sich seit den Neunziger. Damals verabschiedeten sich der klassische Mittelstand aus der Stadt. Eine neue Schicht übernahm die nunmehr freistehenden Altbauwohnungen der grossen Städte. Sie engagierten sich fortan gegen die ländliche Kernenergie und frönten den Bio-Kult.

    Doch die Ereignisse der Welt, der Religionskonflikt der Dritten Welt, der Peripherie der westlichen Zivilisation, dringen auch in die Schweiz. Freilich verspätet und nicht unmittelbar. Die Flüchtlinge Aarburgs, Oltens, Grenchens, Schlierens, Spreitenbachs und Biels, die wohl hässlichsten Städte der Schweiz, gefährden die Agglomeration.

    Denn der Mittelstand ist nicht kompetitiv. Seine Tätigkeiten können ausgelagert, rationalisiert werden. Seine Ideologien sind überkommen. Die Gesellschaft teilt sich in innovativ und altbacken, in reich und arm, in offen und verschlossen. In Weltstadt und Provinz, in Intellekt und Handwerk. In Ausland und Schweiz, in Iran-Ferien und Heimaturlaub.

    Der soziale Frieden war seit dem letzten Generalstreik gesichert. Jüngere wie ältere Sozialwerke nivellierten die Gesellschaft. Der Exportboom seit 1945 bescherte Massenwohlstand. Die Kulturindustrie zerstreute jegliche Bedenken über die Sinnlosigkeit, Fragwürdigkeit der eigenen Existenz. Sie sedierte.

    Doch die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Jahren habe die Situation dramatisiert. Der schweizerische Mittelstand verliert Anschluss. Die Angebote der Kulturindustrie haben sich zwar verbessert; neue Serien, Fortsetzungsromane und -filme ewiger Klassiker. Doch die Ungleichheit hat sich vergrössert.

    Und nun die ausgebildeten, motivierten Flüchtlinge Afrikas. Säkular, gutaussehend, gepflegt. Wohlhabend. Sie wollen arbeiten. Sie wollen sich integrieren. Sie sind hungrig. Sie wollen sich vermehren. Gleichzeitig aber die gleichgültigen Städter, die sich in ihrer Blase verkrochen haben. Blase der hippen Bars, der Weltoffenheit und sexuellen Liberalität.

    Die grosse Volksabstimmung im Frühling richtet darüber, ob die längst eingemotteten Truppen die grüne Grenze des Tessins beschützen sollten. Der Mittelstand skandiert aufm Bundesplatz in Bern. Die dortigen Städter haben sich in der Reithalle versammelt. Der Mittelstand ist mit Kind und Kegel angereist, die Städter mit syrischem Anhang.

    Die Städter wollen die Kundgebung des Mittelstands blockieren. Sie marschieren der Speichergasse entlang. Bei der Turnhalle stoppen sie kurz, verpflegen sich mit Grüntee und importierten Orangen. Die Kantonspolizei hat den Waisenhausplatz verbarrikadiert. Auf Facebook tobt bereits die Meinungsschlacht; beide wähnen sich im Recht.

    Die Kantonspolizei sympathisiert mitm Mittelstand. Die Polizisten stammen Worb, Jegenstorf, Schüpfen und Lützelflüh. Sie haben alle eine seriöse Erstausbildung abgelegt. Man kann ihnen nichts verübeln. Sie verkörpern das Volk. Sie heissen Beat, Martin und Sandro. Sie sind verheiratet; ihre Frauen protestieren aufm Bundesplatz.

    Die Städter sind entwurzelt; sie leugnen ihre Herkunft, ihre Familien. Sie sind nicht verheiratet. Sie verzögern ihre Bürgerlichkeit. Sie feiern das weltoffene und libertäre Leben. Sie entwerfen andere Lebensmodelle; es sind ewige Berufsjugendliche, grossgeworden in Bars und in überfüllten Aulas der staatlichen Universitäten; ohne Ausbildung.

    Der Konflikt schwelte seit Jahren. Die letzten Volksabstimmungen haben den Graben aufgezeigt. Von Politologen lange verneint, ist er nun offenkundig. Eine Ahnung eines nahenden Bürgerkrieges schnellt über Bern. Schwirrend. Die Städter üben den Gleichschritt. Die Polizei formiert sich. Sie sind gerüstet, ausgebildet.

    Der erste Stein ist geworfen. Die Polizei antwortet. Eine vermummte Einheit überrascht die Polizei via Zeughausgasse. Die städtische Jugend ist begeistert. Endlich das ersehnte Spektakel. Endlich Aufregung. Die ersten Bilder sind auf Instagram publiziert. Der Hashtag #RiotCH erklimmt Twitters Trendspalte. Watson und Blick installieren Tickers.

    Die gesamte Schweiz wartet. Welche Partei verletzt zuerst? Wer tötet? Der Mittelstand verschanzt sich hinter der Polizei. Eine weitere vermummte Einheit stürmt via Bundesgasse durch. Eine Lücke der Blockade. Der Mittelstand verteidigt sich ehrbar. Doch er war nicht vorbereitet; Familien und Kinder. Die Frauen der Polizisten.

    Das erste Kind wird totgetreten. Von Vermummten. Die Szene ist dokumentiert und sofort publiziert worden. Die Schweiz hat endlich einen richtigen Aufschrei. Das erste Todesopfer einer sozialen Unruhe. Ein historisches Ereignis. Die Polizisten sind erzürnt. Sie schonen nun nichts mehr; sie sind entfesselt.

    Sie wüten und schiessen. Mit scharfer Munition. Das erste Mal seit über hundert Jahren. Das erste Todesopfer war die dreijährige Tochter eines Polizisten aus Lauperswil; ein stämmiger Bursche, Freizeitschwinger und Hobbyschütze, im Vereinsleben eingebunden, politisch aktiv und überhaupt frisch.

    Doch der sinnlose Tod seiner Tochter überfordert ihn. Der Kommandant kann seine Einheit nicht mehr zügeln. Er genehmigt den Schiessbefehl. Bald zählen die sozialen Medien weitere Todesopfer. Der Mittelstand benachrichtigt seine Basis. Die vielfach gelagerten Gewehre werden endlich ausgepackt. Der wehrfähige Bürger macht endlich wieder Sinn.

    Die erste Nachschublinie gelangt nach Bern. Die Männer und Frauen und Kinder des Mittelstands werden bewaffnet. Die Städter hingegen haben weder gedient noch jemals den Umgang mit harten Waffen erlernt. Sie können bloss Steine schmeissen und über den Pazifismus philosophieren.

    Der Bundesrat harrt. Die UNESCO-Altstadt Berns verwandelt sich in einen urbanen Kriegsraum. Der Mittelstand jagt Städter, Jugendliche und Vermummte. Entschlossen und im Rausche. Wie viele Städter bereits krepierten, kann momentan nicht bewertet werden. Vermutlich verstarben zweihundert. Die Städter fliehen ins Lorraine-Quartier.

    Die Polizei hat sich wieder gemässigt. Die Leichen werden sortiert. Der Bundesrat spricht zum Volk. Doch das ist alles vergebens. Die grosse und internationale Jugend Zürichs formiert sich bereits. Der Bundesrat erwägt eine Teilmobilmachung. Der Tag endet. In Zürich brennen die ersten Autos mit AG-, TG- und SG-Kennzeichen. In Basel jene mit JU und SO.

    Der nächste Tag.