Ach verloren bin ich

Ich bin ein verlorener Sohn, gewiss. Ich bin auch eine verlorene Seele. Ich habe mich längst aufgegeben; ich dümple und irre bloss noch herum. Ich habe keinen «Auftrag», keine «Mission» fordert mich. Ich fühle mich entfremdet; von meinen sozialen Beziehungen, von der Welt und logischerweise von der Arbeit.

Nicht viele Aktivitäten versprechen mir Freude und Befriedigung. Oftmals rubble ich auch stundenlang meinen Penis; ich beschäftige mich mit mir selbst. Und dann bin ich ganz entrückt dieser Welt. Ich muss nichts nachdenken, nichts machen, niemandem gefallen. Ich kann mich verstecken.

Ich flüchte permanent; von der Welt, vor mir selbst, vor meinen Mitmenschen. Ich habe mich eigentlich längst daran gewöhnt. Ich bedauere meinen seelischen Zerfall auch nicht mehr; schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Phasenweise bin ich unglücklicher als unglücklich. Besoffen bin ich meistens unbeschwert, nicht wirklich glücklich – aber irgendwie wieder so leicht.

Daher betrinke ich mich zu häufig, mindestens einmal wöchentlich erlebe ich einen «Absturz». Das ist grundsätzlich nicht so schlimm, weil war früher nicht anders, sondern bloss öfters. Aber mit fortgeschrittenem Alter werden die Nachwehen immer intensiver und ich brauche nun bereits zwei Erholtage, um mich wieder zu regenerieren.

Mir ist durchaus bewusst, dass diese Art der Gegenwartsbewältigung überhaupt keine nachhaltige sei – stattdessen verlängert der ewige Absturz mein allgemeines Leiden. Immerhin macht der gelegentliche Absturz die Gegenwart einigermassen erträglicher, zumindest für einen lichten und viel zu kurzen Augenblick.

Freitags bin ich neuerdings bevorzugt unterwegs, weil ich so das gesamte Wochenende für die Erholung nutzen kann. Ebenfalls kann ich so das Wochenende gut «durchhalten», weil ich mich ohnehin nur auf die Regeneration fokussieren kann. Ich fühle mich dann auch nicht bemüssigt, irgendwelchen sinnvollen Aktivitäten nachzugehen. Ich kann einfach lümmeln.

Ob das mein ewiger Zustand bleibt? Werde ich irgendwann wieder «normaler», «glücklicher» und so? Werde ich mich wieder einer Aufgabe widmen können, welche mir einigermassen Freude und Erfüllung verspricht? Leider habe ich nicht viele Optionen; alle Klassiker entfallen. Ich kann keine Firma gründen, ich kann keine Kinder machen.

Was mir bleibt, ist quasi die «Kunst», die vorallem den Künstler therapiert. Ich kann hier mein Doppelgängertum ausleben; tagsüber weiss, nachts schwarz. Ich kann hier und natürlich noch auf weiteren geheimen Plattformen meine Gedanken streuen und zwei-drei Menschen damit beeinflussen. Ich erwarte kein Publikum; ich brauche nicht wirklich ein Publikum.

Weil ich mache das vordergründig für mich. Eine überschaubare Leserschaft wäre daher ein by-product. Und nicht das eigentliche Ziel dieser Bemühung. Ich will damit auch keinen kommerziellen Erfolg erwirtschaften. Möglichst wenig Ziele sind sinnvoll und erstrebenswert. Weil es geht eben bloss um mich.

Ich vermute, dass nun doch einigermassen öfters hier etwas publizieren werde. Ich lasse euch wie gewohnt teilhaben. Die Leiden des schlecht gealterten Doppelgängers sind noch nicht finalisiert; sie werden noch weiter entstehen und sich vermehren. «Schicksalsschläge» sind willkommen und werden wohl weiterhin mich fordern.


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