Month Juli 2022

Meine Beziehungsängste

Wir altern, wir werden unbeweglicher. Wir werden gewöhnlich auch interessanter. Ich habe vor mehr als fünf Jahren eine unbeschwerte Bedienungsanleitung formuliert. Leider sind Beziehungen umso schwieriger je mehr man durchlitten hat. Die Liste der Belastungsstörungen kann stets ergänzt werden. 

Fürs hypothetische Szenario einer Partnersuche zwecks Vermählung möchte ich gerne die wichtigsten Belastungsstörungen aufdatieren. Diese sollen einerseits abschrecken, andererseits ein mögliches Zusammenleben begünstigen. Jede Dating-Plattform müsste statt Interessen die Belastungen ausweisen. Das würde das Filtern erleichtert.

Angst vor Liebesentzug

Mit dem Liebesentzug soll der Partner gestraft werden. Der Liebesentzug ist sehr generalisiert, meistens äusserst er sich durch Absenz oder Kommunikationssperren. Spieltheoretisch ist der Liebesentzug selten wirkungsvoll, führt bloss zu einer Verloren-Verloren-Situation. Ich kann darauf nie angemessen reagieren. Manchmal flüchte ich in die Liebesdusche; überschütte den Partner deswegen mit Liebe. Oder ich antworte ebenfalls mit Liebesentzug. Beide Varianten sind nicht konstruktiv, ich habe beide getestet und dann folgt sofort die Angst vor Überforderung. 

Angst vor Kommunikationssperren

Kommunikationssperren sind eine spezialisierte Form des Liebesentzug. Man schweigt. Man hat bewusst nichts mehr zu sagen. Man teilt nicht mehr. Man lässt gleichzeitig auch nicht mehr teilhaben. In manchen Fällen ist die Kommunikation aufs Funktionale beschränkt. Man kommuniziert lediglich noch das Minimale wie allfällige Einkäufe oder gemeinsame Zwecktermine. Kommunikationssperren überfordern mich. Ich bemühe sodann mich um eine partizipatorischen Kommunikation, dass sie zu beflissen und zu aufgesetzt wirkt. Damit verschlimmere ich aber die Kommunikationssperren, weil meine Anstrengungen zu angestrengt ankommen. Ich kann mich selber auch mehr richtig ernstnehmen. Und so überkommt mich allmählich die Angst vor Überforderung. 

Angst vor Ablehnung

Der Vorwurf der allgemeinen Ablehnung ist ein schwerwiegender. Ich fühle mich rasch abgelehnt. Eine Kommunikationssperre oder ein Liebesentzug bestätigen mir, dass ich abgelehnt werde. In dieser Phase der gefühlten Ablehnung suche ich noch mehr Liebe und Anerkennung, die unterschiedlich transportiert werden kann. Was mit einer mittleren Wahrscheinlichkeit funktioniert, ist das Sexuelle. Dadurch kann ich mich wieder anerkannt und geliebt fühlen – allerdings bloss eine leidenschaftliche und authentische Sexualität. Eine meinetwegen erzwungene erhöht das Gefühl der Ablehnung. Dann lieber gar keine – dafür eine aufrichtige Anteilnahme.

Angst vor Veränderungsdruck

Ich ändere mich ungern, insbesondere nicht wegen den gutgemeinten Ratschlägen eines Partners. Meistens betreffen sie auch immer dieselben Themen: Ernährung, Körperpflege, Kleidung, Wahl der Freunde, Ferienorte, Zukunftsziele. Vermutlich wollte man mich schon öfters umerziehen oder disziplinieren. Meistens passe ich mich ohnehin automatisch an; die Veränderung ist schleichend und daher nachhaltiger als eine invasive. Ich reagiere gewöhnlich trotzig, zickig, falls man mich bevormunden möchte. Meistens quittiere ich Ratschläge mit der blossen Kenntnisnahme und kommentiere sie nicht wirklich. Ich ignoriere sie lediglich. Deren Wiederholung verstimmt mich, ich fürchte mich dann vor Ablehnung, dass ich nicht akzeptiert bin – dass ich nicht genüge wie ich bereits bin. 

Angst vor Überforderung

Ich bin stets herausgefordert und kann nicht einmal alle Baustellen seriös aufzählen, die mich beschäftigen oder meine Aufmerksamkeit verlangen. Ich balanciere auch stets zwischen unterschiedlichen Anspruchsgruppen, die irgendwie besänftigt werden müssen. Das ist nicht bloss beruflich so, sondern auch privat. Ich bin belastbar mit den Summen aller Problemen, die ich bereits zu bewältigen habe. Aber neue, unbekannte oder bislang verborgene Probleme drohen mich zu überfordern. Eine Beziehungskrise ist für mich sofort eine existenzielle Krise. Ich werde dann schlaflos, dadurch noch gehässiger und enttäuschter. Ich werde sofort Entweder-Oder respektive “Alles-oder-nichts”. Ich verlange nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, nach einem Liebesbeweis – irgendeine Geste, die mich beruhigt. Sie kann auch bloss körperlicher Natur sein; Küssen, Schmusen lösen meine Anspannung unmittelbar. Falls ich mich nicht entkrampfen kann, verkrampfe ich mich umso mehr; ich steigere mich hinein. Meine Augen glühen, ich bin wie blockiert und kann mich selber kaum noch befreien. Ich verfalle zeitweise dem Wahn.

Angst vor fehlender Anteilnahme

Anteilnahme bedeutet, dass man sich ein wenig interessiert. Interessiert, was der Partner denkt, fühlt, wie es ihm ergeht, was er so tut, wo er war, wohin er geht. Nicht nur so als ob – sondern aufrichtig. Lieber sich wenig interessieren als gar nicht oder bloss Interesse heucheln. Ich kann nicht gut damit umgehen, falls jemand nicht anteilnimmt, nicht teilnehmen möchte – sondern einfach sich zurückzieht. Fehlende Anteilnahme wiederum provoziert die Angst der Ablehnung. Man fühlt sich nicht ernstgenommen, man fühlt sich auch nicht “wahrgenommen”, bishin nicht existent. Ich antworte mit fehlender Anteilnahme für gewöhnlich ebenfalls mit Anteilnahmslosigkeit oder versuche ich zu interessieren – dabei ertappe ich mich selber, dass mein Interesse nicht aufrichtig ist, sondern erzwungen ist als Reaktion auf die fehlende Anteilnahme. Hier kann ich bloss schwer wieder durchbrechen, ich bin auch ganz verkrampft und will unbedingt Anteilnahme signalisieren – womit ich potenziell natürlich jemanden aufschrecke und versteife. 

Ich bin eigentlich schon recht einfach zu bedienen, gleichzeitig leider auch recht rasch bei diesen Ängsten zu triggern. Aufgrund negativer Erfahrungen bin ich derzeit beschädigt. Mir ist bewusst, dass man nichts stets 100% aufmerksam, anteilnahmevollst, verständlichstvollst, anerkennend und so weiter als Partner sein kann. Mein Kompass ist hier derzeit gestört. Ich weiss, dass manche Menschen halt manchmal auch bloss erschöpft und ermattet sind und dadurch keinen Liebesentzug oder eine Ablehnung aussenden wollen. Manchmal ist alles viel trivialer als man sich vorstellt. Aber manchmal nicht, vor allem nicht, wenn es chronisch ist und ein Dauerzustand, den man irgendwie überdauern muss.

Auftauend

Es ist nicht unbedingt der Krieg, der mich betrübt. Der Krieg dauert. In Rzeszów werden vermutlich Waffen verschoben, alle fünfzehn Minuten solle ein Transportflugzeug landen. Der Flughafen selber ist wie eine Frontstadt gesichert. Gerne würde ich diesem Schauspiel beiwohnen. Ich befürchte, dass die Waffenlieferungen unzureichend und verspätet sind.

Vielmehr versucht die EU den Weizen zu retten, weil auch abermals eine Nahrungsmittel globalen Ausmasses drohe. Zuerst kommt das Fressen, dann Moral, so will eine Oper uns überliefern. Vermutlich akzentuiert sich das nochmals, sobald wir hier frieren. Momentan ist der Winter aber weit weg; dazwischen liegt ausserdem noch ein Corona-Herbst. 

Nein, ich will nicht weiter über den Krieg oder den ungünstigen Kriegsverlauf mich beklagen, dass eine Handvoll Panzerhaubitzen noch keinen Krieg entscheiden oder dass die Waffenlager der Demokratien längst nicht geöffnet sind. Diesmal nicht, meine allgemeine Stimmung ist wegen anderen Gründen betrübt.

Nein, auch nicht die spezifische Ohnmacht bedauert mich, nichts entgegen oder bewirken zu können, stattdessen den Krieg erleben zu müssen wie ein Schauspiel – er ist zwar real existierend, aber dennoch abstrakt, fern und nicht spürbar. Nicht einmal weiblichen Flüchtlingen begegne ich. Auch MS Teams filtert die Sirenen mittlerweile heraus. 

Ich bin ja bekanntlich ein Glücksritter. Ich bin unruhig, strebsam. Ich fühlte mich vor einigen Jahren wahrhaftig angekommen und aufgehoben. Ich meinte, einer wunderbaren Frau begegnet zu sein. Wir waren losgelöst und liebten uns leidenschaftlich. Alles schien möglich, ich war sehr energiegeladen und futuristisch. Ich war sehr zuversichtlich. 

Doch diese Beziehung endete tragisch, unglücklich. Sie erkrankte ziemlich früh. Vermutlich war sie seit jeher veranlagt. Eine schwierige Geschichte rechtfertigt ja nicht, erklärt bloss ein wenig. Unsere Beziehung hat sich davon nicht erholt – vielmehr verschlimmert oder manchmal verschlimmbessert. Ich bin ja kein Experte in Beziehungen. 

Ich bin Täter wie Opfer und Retter in einer Person vereint. Wir haben das perfekte Drama gespielt. Ich habe den ungünstigen Verlauf begünstigt. Doch ich würde mir nicht erlauben, alle Schuld zu schultern für dieses Ende. Natürlich bewirkt man nicht immer das Gute, wenn man Gutes beabsichtigt. Das Gegenüber muss auch empfänglich sein.

Und sie war keineswegs empfänglich oder kompromissbereit. Vermutlich war sie benebelt von Schuldgefühlen, Psychopharmaka, Alkohol, Kokain und von den Geschichten ihrer Mitmenschen, die sie stets wichtiger nahm als ihre eigene, die deswegen kaum weiter gestaltet werden konnte. 

So stapelten sich hilflose Sozialisierungsversuche mit Menschen mit deutlich schlechterem Einfluss, angebrochenen Hobbys, stets verzweifelten Gebesserungsgelübnissen – während die Wohnung immer mehr verkam, verpackte Schuhe, luftige Kleidchen und Korrespondenz sich stauten und Lebensmittel verdarben. 

Ihre Kommunikationsfähigkeiten waren ebenfalls unterentwickelt. Vermutlich waren sie mal besser. Ich kann mich noch so knapp erinnern. Ihre Kommunikation basierte auf Trotz und Schweigen. Bloss wenn sie betrunken war, konnte sie “reden” – doch stets wiederholend und ohne Gedächtnis. Vor allem war es ein betrunkener Monolog. 

Sie erzählte ihre “Geschichte”, die einfach nicht mehr weiterging. Man konnte jeweils ihre Reaktionsfähigkeit mit einem Zwischenruf testen. Kann sie noch empfangen? Kann sie noch auf das Gegenüber eingehen? Sie vermochte nicht. Irgendwann war ich zu abgemüht und abgekämpft. Ich war nicht wirklich traurig, sondern bloss abgestumpft. 

Traurig bin ich heute, weil ich solange meine Zeit verschwendet habe. Und weil ich wirklich verliebt war. Ich liess mich wohl von einem aufreizenden Körper täuschen und verführen. Vermutlich liess ich mich auch verzaubern von ihren gespielten Unbeschwertheit, die bloss ihre Sinnlosigkeit verdeckt. 

Ich habe drei Jahre verschwendet. Wenigstens bloss drei Jahre. Von diesen drei Jahren erlebte ich drei Monate Unbeschwertheit. Die Ausbeute ist ziemlich gering. Das einzige, was ich lernte, ist Sachen zu verdrängen und wieder zu programmieren. Die Lernkurve war beinahe negativ – das Verdrängen mittels Programmieren hat mich gerettet. 

Doch nun erwache ich allmählich. Ich bin nicht mehr so erstarrt und apathisch. Ich kann mir allmählich vergegenwärtigen, was geschah. Ich bin nun wieder zurück, aber beschädigter als vorher. Immerhin bin ich gewachsen an dieser Herausforderung. Ich hätte aber gerne darauf verzichtet. So dringend war diese Leidenserfahrung auch nicht. 

Meine Schwermut wird voraussichtlich noch einige Monate andauern. Ein baldiger Herbst wird wieder mich frohlocken lassen. Ich werde wie gewohnt in Como spazieren, essen, schlafen und eventuell Flüchtlinge beobachten können. Vermutlich werde ich mich bis dahin hier noch einige Male äussern.

Wofür bin ich dankbar?

Ich habe mich längst mit etlichen Privilegien arriviert. Meine übliche Wohnsituation, die besonderen Umständen derzeit ausgenommen, ist sehr komfortabel. Ich habe alles, was man zum gediegenen Leben benötigt. Gewiss wäre noch Eigentum erstrebenswert, aber das ist mit der jetzigen Einkommenssituation nicht zu finanzieren. Ich habe Tumbler, Abwaschmaschine, eine begehbare Dusche, eine Badewanne, technisch genügend Stauraum, einen grosszügigen und schattigen Balkon mit direktem Blick auf die A2 und Wohnateliers der lokalen Berufskünstler. Das ist alles sehr angenehm. 

Zudem habe ich eine wunderbare Tochter, die hauptsächlich mich anstrahlt und – obwohl sie spezielle Bedürfnis hat – eigentlich ziemlich bedürfnisarm ist. Sie braucht Aufmerksamkeit, Nähe und ihre Esswaren – fertig. Natürlich erfordert sie Pflege, aber sie ist dankbar und vor allem mit mir gnädig. Man kann sich kaum eine bessere Tochter vorstellen. Natürlich vermisse ich auch das normale Familienleben, aber das ist ohnehin vergebens und bloss eine Illusion der Kinder, dass sowas überhaupt funktioniere und Glück verspreche. Ich kann echt nicht klagen.

Ich bin sogar sozial einigermassen eingebunden, ich bin Teil einer kleinen Bewegung Oltens. Wir sind unbedeutend und ohne jeglichen sozialen Einfluss. Wir bespassen vor allem uns selber. Das ist okay. Der Zusammenhalt existiert, auch wenn die Exponenten verteilt und persönlich mannigfaltig herausgefordert sind. Wir können uns aufeinander verlassen – lediglich IT-Support bieten wir kaum, weil einige besser mit Computer als mit Menschen umgehen können, vermutlich auch ich. Man könnte in meinem Alter auch bereits vollends vereinsamt sein. Ich bin es nicht. Ein Jugendfreund wohnt sogar ebenfalls in Basel, wir treffen uns sporadisch und unternehmen Gemeinsames.

Meine Arbeit ist natürlich auch sehr aussergewöhnlich. Ich bin sehr flexibel, auch wenn meine Arbeit kaum planbar ist. Ich weiss selten, was mich morgen erwartet. Ich kann mich bloss einige Minuten vorbereiten. Ich muss stets improvisieren, bin ständig in einem neuen Kontext unterwegs. Ich lerne, zeitgleich vermittle ich Wissen und Erfahrung, ich kann wirklich helfen. Ich befeuere und befreie Organisationen. Ich arbeite auftragsbezogen. Alle Aufträge sind terminiert. Sie sind endlich. Ich kann mich stets notfalls abgrenzen, weil ich ausserhalb des Systems schwirre. Ich bin selten Teil des Problems, sondern ich bin die Lösung. Ich agiere gelegentlich als Diva. Ich regle meine Arbeitszeiten selber. Ich bin nicht auskunftsfähig über mein Feriensaldo. Ich walte mit “Gefühl”. Manchmal verstecke ich mich seit Corona im Homeoffice, ich trete bloss virtuell an. Ich sitze in Badehosen in meinem klimatisierten Homeoffice, ich esse Burger mittags, spaziere morgens und abends. Weil ich kann und will. Ich bin gleichzeitig abhängig und unabhängig. Ich weiss, dass die wenigsten Menschen so arbeiten können. Mein Einkommen dabei ist bemessen, wer es nachfragt. Und alles ist legal und ich kann es auch moralisch vertreten. 

Auch mein Körper und ich sind okay. Mein Körper ist für Burger und Cordon Bleu optimiert, Weissbier verträgt er auch sehr gut. Ich putsche mich mit Redbull und Zigaretten. Vermutlich lebe ich ungesund, ich erhalte die Rechnung dereinst. Aber ich fühle mich nicht wie 37. Ich konnte zwar den Zerfall einer ehemals lebenshungrigen Frau beobachten, die aber sturr und trotzig alle Anzeichen der natürlichen Alterung ignorierte und kaschierte, sofern möglich – dennoch ist mein Zustand trotz körperlichen Schulden einigermassen vertretbar. Ich habe seit einigen Wochen etwas zu bemängeln, mein rechtes Auge zuckt gelegentlich. Ich vermute, dass ich insgeheim sehr gestresst bin, was sich auch in meiner privaten Wohnungssituation zeigt. Ich spekuliere, dass sich das rechte Auge bald beruhigt, als ich endlich meine Wohnung eigen heissen kann. Ansonsten starten Abklärungen, die oftmals Psychosomatisches diagnostizieren. Hierfür kann ich mich dankbar schätzen. Natürlich weiss ich auch um meine “Baustellen”; Rücken, Computer-Hände, mangelnde Bewegung. Eventuell kann ich mit einer aktiven Sexualität einiges kompensieren. Vermutlich nicht, aber sicherlich hinauszögern.

Ich kann also sehr gut dankbarst sein. Dessen bin ich mir bewusst, auch wenn diese Leiden hier häufig dramatisiert sind. Danke für alles.