Month Juni 2022

Mein 37. Geburtstag

Erneut feiere ich meinen Geburtstag. Mein Arbeitgeber stellt mich für einen Tag frei. Man solle nicht am Geburtstag arbeiten – ähnlich wie in Japan, wo der Geburtstag ein heiliger Tag sei, so bestätigte ein Bekannter jüngst mich, der jahrelang in Japan lebte. Also morgen Geburtstag.

Normalerweise will man zum Ende des Kalenderjahres bilanzieren. Ich veröffentliche gelegentlich vorgeschobene Jahresrückblicke oder nachgeschobene Jahresprognosen. Privat resümieren ich gerne ich an meinem Geburtstag. Jeder Geburtstag war bislang etwas Besonderes, weil er stets die entsprechenden Verhältnisse reflektierte. 

So schrieb ich beispielsweise im 2017, dass ich allen Herausforderungen trotzen mag, obwohl Bauch fett und Haare grau. Das war mit 32. Ich war sehr trotzig. Ich wusste ja auch nicht, was mich erwartet. Ich war noch naiv, unbekümmert – halt trotzig, gleichzeitig aufbauend-optimistisch. Futuristisch gewissermassen, weil ich stets strebe.

Jetzt werde ich 37 Jahre alt. Ich bin tatsächlich gealtert, Bauch fetter, Haare weniger und grauer. Müder geworden, erschöpfter. Ich brauche weitaus mehr Schlaf als früher. Ich muss mindestens sieben Stunde einigermassen entspannt schlafen können. Das einzige, was nicht erschlaffte, ist der Sexualtrieb; ich bin weiterhin getrieben. 

Ich freue mich weiterhin über meine Zukunft, ich spiele bald in der zweiten Halbzeit meines Lebens. Bald, denn ich bin noch nicht gänzlich erloschen oder bezwungen, auch wenn dieser Geburtstag diesjährig relativ einsam gestaltet ist; ich vermutlich mich zurückziehe, Star Trek schaue, spiele und programmiere, eventuell noch kurz mich bräunen werde.

Ich habe viele Enttäuschungen und Verletzungen erlitten. Ich bin derzeit eine beschädigte Ware. Es dauert vermutlich Monate, bis ich wieder einigermassen zusammengeflickt bin. Bis ich wieder meinen Selbstwert respektieren und anerkennen kann. Ich muss noch aufarbeiten und verarbeiten. Ich kann nicht einfach the show must go on weiterführen. 

Kurze innehalten, passieren, reflektieren, warum es überhaupt so lange dauern musste – warum ich mich dermassen quälen durfte, bis ich endlich angemessen mich durchsetzen konnte. Ich war wohl getrieben erneut, ausgeliefert – oder einfach nur richtig gut verhext worden. Aber ja, damit externalisiere ich die Ursache. 

Vermutlich wollte ich mich ausgeliefert und ausgebeutet, unter meinem Wert verkauft wissen, minderwertig, unzulänglich, unbrauchbar mich fühlen. Denn eine kleine Lust der Selbstzerstörung begleitet mich seit jeher. In den letzten Jahren schien sie befriedigt, sie war gebannt. Doch was nun? Was kann nun kompensieren?

Werde ich einfach meine nächste Beziehung sabotieren oder ruinieren, damit sie der letzten gleicht, weil ich nicht glücklich werden darf? Oder werde ich mich bessern, werde ich mich überlisten, indem ich mich nicht überliste? Bin ich lernfähig? Zunächst bin ich sanft traumatisiert und erschöpft. 

Ich habe schon einige triste Geburtstage gefeiert. Einmal war ich bloss Ping-Pong spielend, habe sechzehn Zigaretten geraucht, einen Liter Wasser getrunken, im Ping-Pong stets verloren und bin heimgekehrt. Einmal organisierte eine grosse Feier in einem Pfadiheim mit über hunderten Teilnehmenden, Lärmklagen, Sachbeschädigungen und Polizei.

Zeitlang feierte ich mit einer gediegenen Grillparty, die nur Fleisch und harten Alkohol anbot und alles andere in die Eigenverantwortung drängte. Ich kann etliche Geburtstage aufzählen, sie waren stets den Verhältnissen angepasst. So gestaltet sich auch der diesjährige. Und das beruhigt mich.

Ich bin nämlich sehr zuversichtlich, dass meine Wunden heilen. Ich werde alsbald wieder stolzieren, einigermassen meiner selbst bewusst sein, meine Wirkung und Sendung realistisch einschätzen können. Ich werde weiterhin nach Glück streben. Ich werde mich weiterhin bemühen und nicht einfach bereits mit 37 kapitulieren. 

Ich habe in Vergangenheit Pech gehabt, zweimal grosses Pech. Das muss sich nicht automatisch wiederholen. Man kann Glück auch begünstigen, die Wahrscheinlichkeiten erhöhen. Man muss nicht in dieselbe Falle tappen. Ich weiss nämlich genau, was beim letzten Mal mich getriggert hat. 

Immerhin bin ich anpassungsfähig, ich lasse mich nicht wieder einlullen, betäuben oder sonstwie meine Sinne vernebeln mit einem sinnlichen Körper – mittels Formen Inhalte überwinden. Wenn überhaupt, dann lieber mit Inhalte Formen überwinden. Oder einfach einigermassen ausgeglichen, sodass beides passt. 

Und ansonsten? Im Beruf ist es halt anstrengend, die Pflege meiner Tochter ist auch anstrengend, dort bin ich einigermassen geübt. Es funktioniert irgendwie. Mein privates Unglück hatte Beruf wie Tochter nicht negativ beeinflusst. Ich hoffe, privates Glück hat ebenfalls keinen negativen Einfluss. Mal schauen.

Feiert mich.

Im Theater

Kürzlich besuchte ich eine lokale Aufführung. Ich bin sehr selten im Theater. Ich kann nicht zwei Stunden mich fokussieren, was nicht mich begeistert oder einnimmt. Ich nenne das auch Arbeit, wo ich ebenfalls mich zwingen muss, Interesse zu heucheln. Jedenfalls sah ich die letzte Aufführung Was geschah mit Daisy Duck der kleinen Bühne Basels. 

Glücklicherweise kannte ich niemanden. In Olten unmöglich. So musste ich keine Konversationen vor oder nach der Aufführung leisten. Die kleinste Grossstadt Basel schenkt mir gewisse Anonymität und dadurch Unbeschwertheit – gleichzeitig auch Einsamkeit, die mich sozial verwahrlosen lässt. 

Der Platz auf der Tribüne war diskret gewählt. So konnte ich mindestens einmal meine Schulmädchenblase leeren, ohne das Publikum stören zu müssen. Den zweistündigen Nikotinentzug meistere ich problemlos, schliesslich schlafe ich auch nichtrauchend. Soviel zum persönlichen Rahmen.

Das Publikum teilte sich zwischen interessierten Schülerinnen der Gymnasien Kirschgarten und Münsterplatz und alten Männern sowie Freunde der lokal integrierten Schauspielern. Vermutlich haben sich einige auch bloss verirrt, waren zufällig und ohne rechte Absichten zugegen. 

Das Stück sollte unterhalten. Ich glaube, es war eine Komödie. Oder doch eine Tragödie? Ich bin verunsichert. Gemäss Programmheft durfte ich “eine kritische Auseinandersetzung mit Hollywood-Träumen, Daisy & Co” erwarten. Die fehlte jedoch, in energischen Monologen der Schauspielern rutschen zwei-drei Referenzen durch. 

Vermutlich hatte ich einfach zu hohe Erwartungen. Vermutlich habe ich eine lustige Dialektik der Aufklärung erwartet; dass das Stück die Gegenwart entschlüsselt mithilfe Entenhausens Gleichnissen. Weil diese Comics kenne ich selber, das wäre ein noch zu bergender Schatz voller Gesellschaftskritik und Ironie und vermutlich auch Spass. 

Die Schauspieler kompensierten. Vermutlich haben sie gut geschauspielert. Ich kann das handwerklich nicht beurteilen, weil ist eben ein Schauspiel. Sie waren wirklich allesamt bemüht, das leere Stück irgendwie zu füllen. Sie folgen ja bloss Anweisungen, daher kann man ihnen nichts vorwerfen. 

Würde ich dieses Stück einem Freund empfehlen? Leider nicht. Andererseits sind zwei Stunden vergeudete Lebenszeit nicht wirklich erwähnenswert, weil wir bereits anderswo und anderweitig weitaus mehr Zeit verschwenden; sei es in toxischen Beziehungen, in lustlosen und sinnlosen Jobs oder schlichtweg im Stau. 

Daher ist ein Besuch nichts Falsches. Glücklicherweise wird das Stück nicht mehr aufgeführt, so erübrigt sich die Frage. Und damit ist auch der Wert dieser Besprechung hier fraglich.