Monat: November 2016


  • Der wahre Wirtschaftsdschungel

    Du glaubst, deine Branche sei ein Dschungel, ein Überlebenskampf, ein Ringen der Fittesten? Dann kennst du meine nicht. Ich arbeite in der wohl kompetitivsten Branche überhaupt. Keine Eintrittshürden schützen unseren Markt. Jeder kann tausend Zertifikate anhäufen. Jeder kann eintreten, kann erobern. Willkommen.

    Wir vernichten uns gegenseitig. Einige globale Unternehmen dominieren den weltweiten Markt. Sie diktieren die Bedingungen. Es sind die supranational-vernetzten Unternehmen. Sie liefern in den USA, PowerPoints verschönern sie in Indien, während der Rest döst. Solche Unternehmen schlafen nie. Deren Berater bevölkern die Business Class.

    Lokal-superflexible Unternehmen agieren von einer secure base; sie begründen ihren Erfolg aufgrund persönlichen Beziehungen. In der Schweiz nennt man solche Verwicklungen auch Filz. Sie überleben, weil sie sich kennen. Weil sie einander Business zuschanzen. Die grossen und maturen Kunden schützen sich dagegen mit einem zentralisierten procurement.

    Du kommst nicht rein, wenn du deren Eignungskriterien nicht erfüllst. Diese Kriterien passen wiederum immer bloss auf einen bereits auserwählten Kreis. Sie werden der Form halber publiziert. Wenn du diese Barriere meistert, bist du drin. Dann besitzt du eine Lizenz zum Rechnungsdruck. Ansonsten bist du draussen, kannst die Porsches beneiden.

    Doch auch innerhalb eines Unternehmens bist du nicht gesichert. Du musst deinen Status täglich beweisen. Du bangst täglich um deinen rank. Jederzeit könntest du herabgestuft werden, wenn deine Leistung nicht brilliert. Du musst deine internen stakeholder bezirzen. Du musst reach und impact erlangen. Ansonsten wirst du fern der pompösen Zentrale abgestellt.

    Dort vermoderst du; in der Pampa. Du erscheinst nicht mehr auf den grossen Listen. Du wirst nicht mehr eingeladen. Du wirst nicht mehr hofiert. Die Leute meiden dich dann. Du bist bloss noch eine cash cow, die man noch einige Jahren abschöpft, bis du frustriert kündigst und wegen des allgemeinen Konkurrenzverbotes nirgends mehr angestellt werden kannst.

    Es sei denn, du kaufst dich frei, du entschädigst deinen ehemaligen Pimp für den potentiellen Umsatzverlust. Oder du wirst befördert; steigst im Schneeballsystem auf. Du erklimmst die Pyramide. Weiter oben kannst du abkassieren und die Untergebenen melken. Du kannst herunterkacken, deine buddies quälen, die KPI billable days verschärfen.

    Irgendwann ehrt man dich als potentiellen Partner. Du musst allerdings zuvor innerhalb eines Jahres den Wert des Unternehmens verdoppeln. Für einen überteuerten Preis kannst du dich daraufhin einkaufen. Aufgrund des immensen cash outs musst du dich aber privat verschulden. Dennoch masturbierst du heimlich zu deinen 1%-Anteilen.

    Eventuell brichst du zwischendurch aus, du verbrennst. Deine Energie schwindet. Du willst dich irgendwo retten. Ein langweiliger Job kann dich trösten. Du wechselst die Branche. Du desertierst zum mittleren Management. Dort darfst du Excel-Tabellen verwalten. Dort darfst management by objectives praktizieren. Dort darfst du um fünf Uhr heimfahren.

    Allenfalls trennt sich deine Frau. Du entfremdest dich von deinen Kindern. Du verlierst deine Freunde. Du vereinsamst. Du berauschst dich an Firmenfeiern. Polterst dort herum; trinkst, rauchst und kokst mit der Sekretärin. Du willst dich beleben. Doch du bist längst erloschen. Bald erleidest du einen Herzinfarkt. Danach forderst du eine Auszeit.

    Diese Branche ist verflucht. Ich bin dann mal weg.


  • Der Cäsarismus der Gegenwart

    Wenn Politiker einer Nation verpasste und vergangene Grösse versprechen, dann erinnert das mich an einen Cäsarismus im klassischen Sinne. Allein, dass man Grösse wiedererlangen muss, bestätigt, dass man keine mehr hat. Der Wahlspruch eines fernen Politikers also befremdet mich.

    Ich bedauere nicht den Zusammenbruch der Sitten, die Sinnlosigkeit unserer Kultur und die Ausschweifungen der Jugend. Ich habe jüngst meine Generation erklärt. Ich verurteile nicht, dass die westliche Zivilisation allmählich den uneingeschränkten und bedingungslosen Führungsanspruch verliert. Ich warte, ich harre bloss.

    Die hier regelmässig bemühte NZZaS diskutiert den Cäsarismus eines fernen Politikers vielmehr aus der Innensicht. Der ferne Politiker legitimiert sich, weil er interne, vermeintlich dekadente und überholte Strukturen als «starken Mann» überwinde. Damit bestärkt er seine Anhänger, er werde der Nation verpatzte Grösse zurückbringen.

    Freilich zitiert man antike Parallelen. Der Begriff Cäsarismus impliziert das. Doch ich möchte keine Innensicht anstreben wie die NZZaS. Ich möchte die Aussensicht der aktuellen Entwicklung befragen. Wieso kann bloss ein Cäsar die westliche Zivilisation erlösen, sie wieder in wirtschaftliche und moralische Prosperität führen?

    Gemäss Spengler heilt eine autoritäre Regierungsform die sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Verletzungen einer demokratisierten Gesellschaft. Sie ordnet. Sie entscheidet, sie schafft. Die Politik triumphiert ein letztes Mal übers Kapital. Der Mann feiert seine Entschlossenheit und Handlungsvollmacht.

    Wir «verdienen» einen Trump. Eine graue, fleissige, durchbürokratisierte und unaufgeregte Hillary fesselt weder, noch fasziniert oder empört sie. Gewiss kann man sie wegen Emails und sonstigen wirtschaftlichen Verwicklungen anprangern. Doch das kratzt bloss; das ist kein tiefes Entsetzen, kein echter Skandal, der alle betrifft und eine Meinung bildet.

    Die westliche Zivilisation «verdient» gleichfalls gegenläufig klassisch cäsaristischen Diktatoren. Assad, Erdogan und Putin haben sich beworben. Sie können alle ihren Zweck erfüllen. Das chinesische Führungssystem kann ich persönlich nicht durchblicken. Ob dort ein Cäsar sich entpuppe? Ein starker Mann, der eine gespaltene Nation eint?

    Unsere cäsaristischen Gegenspieler ermahnen uns, dass wir uns fokussieren sollten. Dass wir beschlussfähig regieren sollten. Sie erinnern uns, dass unsere spätkapitalistischen Gesellschaften jederzeit auseinanderbrechen können. Sozial sind wir bereits heute fortgeschritten fragmentiert.

    Wir haben uns längst gegenseitig entfremdet, auseinandergelebt. Wir erdulden uns einigermassen. Doch sobald sich unser wirtschaftliche Situation verschlechtert, könnten auch wir uns radikalisieren. Dort, wo die Globalisierung besonders hemmungslos wirkt, vergrössern sich die sozial-gesellschaftlichen Fronten.

    Ein Trump begreift das nicht. Er kann diese grosse Umwälzung nicht erfassen. Er muss auch nicht. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort positioniert. Die USA gleichen einem verletzten Tier. Noch sind die USA nicht erlegt. Deswegen werden sie bald einen bestimmen, der sie «nur noch einmal» aufpäppelt. Zum letzten, aber bereits verlorenen Gefecht.