Umgekehrte Sublimierung

Gegenwartsbewältigung ist meine Auseinandersetzung. Wie bewältige ich meine Gegenwart? Wie bewältige ich meinen Widerspruch? Wie kann ich mich wieder stabilisieren, damit ich im Tarnmodus innerhalb unserer Gesellschaft funktionieren kann? Das vereinfache ich als Gegenwartsbewältigung.

Ich praktiziere zum Beispiel die umgekehrte Sublimierung. Statt ich libidinöse Kraft in Kunst und Kultur vergegenwärtige, also in kluge private wie berufliche Blogs verfestige, kapituliere ich vor der Libido und der Liebe. Vielmehr, ich will mit Liebe alle meine Herausforderungen überdecken und mich zerstreuen.

In Zeiten der Veränderung, des periodischen Umbruchs, wodurch meine Verhältnisse radikal sich wandeln, bin ich besonders liebesbedürftig. Liebe befeuert mich. Mit Liebe kann ich eine Veränderung bewältigen. Ich scheue keinen Herzschmerz, ich scheue keine Sehnsucht, ich liebe überwältigend drauflos. Die Liebe übermannt mich.

Gewiss ist das ungesund. Es verzehrt meine Wahrnehmung der Liebe. Die Liebe ist dramatischer und grösser als sie vermutlich ist. Gleichzeitig überfahre ich damit die Geliebten. Diese protzende Liebe ist unnatürlich, die kann überfordern und einschüchtern. Damit gefährde ich die ehrliche und zugrundeliegende Liebe.

Ich selber kann mühelos hier darüber abstrahieren. Doch im Alltag der Liebe bin ich hoffnungslos, kann mich nicht steuern. Ich überzeichne, überdrehe, überspanne. Das blosse Innehalten wie hier jetzt schützt mich vor dem emotionalen Kollaps. Das Tagebuch und schliesslich auch dieser Blog beruhigen mich.

Ich kann damit mich gedulden, dass ich meine Liebe nicht sofort, unmittelbar und im Hier und Jetzt auskosten muss. Ich kann wieder das genügsame Warten lernen. Ich muss nicht der uneingeschränkten Befriedigung meiner Liebe erlegen. Ich kann wieder balancieren. Ich rette damit die wahre und zugrundeliegende Liebe.