Sexualität als Differenzierungsmerkmal

Die Sexualität beschäftigt Houellebecq. Sexualität beschäftigt denn auch mich. Heute eröffne ich meinen Blog mit einem kleinen Zitat, das wohl ein Klassiker ist. Doch Vorsicht, dieser Beitrag untersucht das Übel im Übel der Sexualität und endet in Auschwitz.

Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise.

Doch für mich ist’s nicht bloss die Sexualität, um die “ebenso erbarmungslose” gekämpft werde, sondern auch um die Liebe an und für sich. Die Sexualität kann zwar Liebe ausdrücken, kann Liebe transportieren, aber nicht alleine verkörpern. Gewiss kann eine Liebe erkalten, die nicht mehr oder weniger regelmässig am und durch den Körper des Liebenden sich wärmt. Dessen bin ich mir und ist auch die Mehrheit sich wohl bewusst. Aber das grosse Thema ist der Mangel an und der Liebe dieser Welt.

Geld und Sex

Die Liebe gleicht einer Ökonomie. Die Sexualität ist bereits verökonomisiert. Die Wenigen haben viel Sex, die Mehrheit keinen bis wenigen. Die Sexualisierten prahlen, künden von ihrer Übersexualisierung. Die schweigende Mehrheit schweigt, darf hier und da einige Likes absetzen. Die Industrie wiederum befriedigt Sehnsüchte konkret in Pornographie, abstrakt in Film und Buch.

Natürlich korrelieren Geld und Sexualität nicht direkt; man erzählt Geschichten von finanzschwachen, dafür potenten Lebenskünstler und/oder umgekehrt. Dennoch zeigt sich im öffentlichen Bild eine lineare Gleichung zwischen Geld und Sexualität, personifiziert durch reiche Männer mit schönen Frauen. Dass die Männer gleichzeitig auch schön sind und die Frauen nicht weniger reich, festigt eine Linearität zwischen Geld und Sexualität.

Liebesbedürftig

Wir sind alle liebesbedürftig. Eine Sehnsucht nach Sexualität überdeckt bloss den Schrei nach Liebe. Liebe ist aber ein tiefes Gefühl, eine mächtige Emotion. Blöderweise sind wir so abgewöhnt, abgestumpft, dass wir nicht mehr liebensfähig sind. Wir sind so mit uns beschäftigt; wir verkrüppeln unser Ego mit Zweifeln, um es daraufhin wieder zu schmeicheln. Wir durchleben Hochs und Tiefs. Wir können niemandem vertrauen, weil wir uns selber misstrauen. Wir wollen unsere Wettbewerbskraft stets gestählert, bewiesen und erprobt wissen. Wir flüchten in endlose Selbstverwirklichung. Alle diese Hast, alle diese Hektik schmälert mit jedem Atemzug, mit jedem grauen Haar unsere Liebensfähigkeit. Wir können uns nicht mehr hingeben, wir können niemanden mehr fokussieren. Wir müssen stets reflektieren, hintersinnen, verbessern. Wir müssen optimieren.

Die unendliche Liebe

Ich will keine blinde Liebe romantisieren, wo man sich völlig auflöst und sich selber im doppelten Sinne aufhebt; Aufheben im Sinne von Versorgen-Verstauen und Aufheben im Sinne von Auflösen. Ich will aber mehr Naivität predigen. Wir sind so geschult, durch etliche Ratgeber und Ratschläge beeinflusst, durch Film und Buch korrumpiert. Wir kennen alle Gefahren, alle Bedenken, wir kennen alle Risiken. Wir dürfen uns das Leben manchmal leicht und vor allem leichter machen. Wir müssen nicht unser Leben verkomplizieren. Wir müssen es bloss erfahren.

Die einfache Liebe

Die schönste Liebe ist, die ehrlich und einfach ist. Eine einfache und ehrliche Liebe ist, wenn sie bedenkenlos ist. Man kann jederzeit bedenken, sich sorgen, sich hinterfragen. Das ist durchaus in Ordnung. Man kann sich jedoch zerfleischen, man kann sich überrumpeln, man kann sich selber blockieren damit. Das bedeutet, wenn man spürt, dass man jemand mag, solle man das ausdrücken können. Ausdrücken kann man Liebe mit Küssen, Umarmungen, mit Kunst, mit Zuwendungen, mit Teilhabe, mit Sexualität freilich. Man schenkt, man lässt teilhaben, teilt das Leben und nicht bloss einen Status. Aber wiederum muss man fähig sein, umarmt, beküsst, beschmust, beschenkt oder auch befriedigt zu werden. Einfach zulassen.

Kein Auschwitz mit Liebe

Mit Liebe, mit unendlicher und einfacher Liebe hätte man ein Auschwitz niemals tolerieren können. Die Menschen waren bereits nach dem Ersten Weltkrieg vereinsamt, vollends in der modernen Welt gefangen und in Geiselnahme. Sie sehnten sich schon damals nach Liebe, nach Anerkennung, nach Würdigung. Nach Sicherheit und Geborgenheit. Unsere Welt ist seitdem viel kälter geworden. Die Menschen sind noch abgestumpfter, noch überforderter als damals. Wir wissen einzig um unsere Geschichte, die mahnt mit fürchterlichen Denkmäler. Das verhindert das Schlimmste. Aber wirklich eine liebende Gesellschaft werden wir wohl im heutigen System nicht mehr.

So nebenbei: Unlängst habe ich beantwortet, was Liebe für mich bedeutet.

Der gute Lebenssinn

Die seelische Leere zeigt sich gerne auch als mangelnder Lebenssinn. Als eine Art der Gegenwartsbewältigung möchte ich einen erstrebenswerten Lebenssinn, den ich dankendst kürzlich auflesen durfte, hier und jetzt meiner kleinen Leserschaft übermitteln.

DBE-Licht-Wald

Der Sinn des Lebens ist es, das Leben sich bewusst zu machen. Kein blosses Im-Gleichschritt-Trotten, kein blosser Eskapismus. Kein blosses Flüchten. Der Sinn des Lebens ist es, damit ehrlich sich auseinandersetzen zu können.

Ich befürworte darum, dass man periodisch sich hintersinne, periodisch zurückblicke, was man ändern oder verbessern könne. Ich befürworte, dass man stets neugierig, wissbegierig und lernfähig bleibe. Damit meine ich einerseits, dass man den Menschen, die Menschen nah und fern respektiere. Aber andererseits, dass man weiterhin entdecke, forsche, suche und Erkenntnisse gewinne.

Der Sinn des Lebens ist es, dass man Beziehungen aufbaue, ein Umfeld etabliere, worin man gegenseitig sich anerkenne, würdige und durchaus wohlfühlen solle. Gleichsam unterstütze ich, dass man einen Beruf ausübe, den man mag, der einen einigermassen erfülle, der einen gewisse Anerkennung schenke. Dass man schliesslich als sinnvoll empfinde, was man tue, damit man nicht vorm AHV-Alter etwas bereuen müsse.

Ebenso Sinn des Lebens ist, dass man der Welt, seiner Umwelt sorgfältig begegne. Also nicht bloss die Welt untertan mache, sondern friedlich koexistiere. Das äussere lebenssinnig sich darin, welche Produkte man konsumiere und dieselben entsorge. Wie man Tiere, Pflanzen, Gewässer und Landschaften behandle, welchen Abdruck man hinterlasse.

Und schliesslich dass man die eigene Familie behüte. Hier meine ich sowohl die aktuelle, die geerbt-unverschuldete, als auch die zukünftige, noch zu finden-begründende. Familie ist wichtig und bedeutsam, weil sie verknüpft einen lebenslänglich. Manchmal fester, manchmal loser. Dass man also alle seine Mitglieder beachte, für alle sie sorge und sie begrüsse. Dass man die eigene Familie ebenso umsorge, beschütze und vor allem liebe. Das wohl wichtigste.

Wie fühlt sich die Leere an?

Ich fühlte mich zeitlang leer, weil abgestumpft. Ohne Leidenschaft, ohne Begeisterung und damit quasi regungslos. Ich funktionierte, das schien meine Ausflucht. Wie hab’ ich’s also mit der Leere?

DBE-Glas

Die Leere ist ein weiter und breiter Begriff. Welche Leere meine ich? Fühle ich mich leer, weil ausgelaugt, ausgesaugt? So leer wie ein Glas leer sein kann? Entleert? Oder fühle mich leer, weil entseelt, entkernt? So leer wie eine Maschine? Wie so oft ist’s ein Sowohl-Als-Auch. Im Zweifel aber fühle ich mich spirituell leerer, seelisch leerer.

Ich schimpfe, ich schreibe schon seit Jahren gegen “die Gesellschaft”. Ich abstrahiere darin mein Unbehagen mit unserer Zivilisation, mit unserer Zeit. Ich empfinde diese Zeit, diese Gesellschaft als “leer”. Leer insofern, als sie keinen Sinn stiftet. Also spirituell leer. Die Geschichten sind erzählt. Die zweite Religiosität befremdet die klassischen Religionen. Wir sind abergläubischer, unsicherer und anfälliger geworden.

Erscheinungen wie SVP, Brexit oder Trump sind für mich Symptome dieser grossen Leere. Diese Akteure überzeugen einen nicht rational, sie begeistern unsere Herzen, unsere Emotionen. Sie füllen uns mit Sinn, mit einer Mission, mit Aufgaben, mit Überzeugungen. Es sind moderne Weltanschauungen. Sie sind komplett, totalitär und allumfassend. Und sie sind menschlich-berührend.

Was ist nun die meine Leere? Meine Leere ist, dass ich das alles fühle. Ein Analytiker dürfte einwenden, ich schultere die Last der Welt und fühle mich als Märtyrer. Ich überfordere mich, ich übersteige und überhöhe mich. Ich überschätze meine Rolle. Ja gewiss, ich übertreibe vermutlich. Aber ich fühle so. Man kann meine Gefühle durchaus pathologisieren. Aber ändern kann ich’s nicht. Ich fühle echt und wahr. Die heutige Welt lässt mich verzweifeln. Es beschäftigt mich.

Denn wir haben wirklich nichts, worauf wir derzeit stolz sein können. Selbstverständlich landen wir mit unseren Robotern auf Planeten, wir erkunden. Wir tauchen in die Tiefe der Weltmeere, wir erforschen unentdeckte Arten. Aber wir haben noch viele andere issues, die grundsätzlich schwerer wiegen. Ich denke hier an den sexuellen Konkurrenzkampf, ich denke an den wirtschaftlichen Dschungel, ich denke hier an die allgemeine Sinnlosigkeit, an die Kapitulation der Philosophie. Ich denke an alle diese Arbeiter, die alltäglich im Trott marschieren.

Ich denke an alle die Seelen, die vereinsamen. Ich denke an alle diese Menschen, die nicht beantworten können, wer sie sind und wieso sie hier sind. Ich denke an alle die Hungernden, die nicht einmal daran denken können. Ich denke an alle die Verfolgten und Verjagten, die sich Sinn und Glück in der westlichen Hemisphäre erträumen. Ich denke an alle, die sich nach unserem Leben sehnen, aber nicht ahnen, wie sinnlos es ist.

So fühlt sich meine Leere an. Diese Leere dominiert mein Gefühl. Ich kenne viele Wirkstoffe, die dem entgegentreten. Ich meine nicht bloss Alkohol und der illusorisch freiheitsliebende Zigarettenrauch. Ich meine alle diese Surrogate, die Glück und Sinn versprechen. Das sind unter anderem Bewegung, Arbeit, Sexualität, Geselligkeit, Kulturindustrie. Wer weitere finde, möge sie anfügen. Man kann diese Liste fortführen. Sternzeichen, Freikirchen und TV-Serien darf man selbstverständlich anreihen.

Werbung in eigener Sache

Für alle, die es heiss, wild und extrem lieben, bin ich der perfekte Zeitgenosse. Ich haushalte weder mit Gefühlen noch mit Gedanken. Ich lebe, ich verschwende. Ich will mich nicht mässigen, solange ich noch spüre. Ich lasse teilhaben, ich lasse verzaubern. Ich kann auch überfahren und überfordern. Anders als meine Mitmenschen habe ich Leidenschaft und einen unersättlichen Hunger nach Leben. Das macht mich zum perfekten Tänzer des Lebens. Tanze mit mir!

David-Selfie-06

Der Anzug

Ich sympathisierte bekanntlich zeitlang mit Momos Gegenspielern, den grauen Männern. Dass diese Männer in grauen Anzügen herumschlichen, war mehr als sinnbildlich. In diesem Beitrag erzähle ich meine Beziehung zu Anzügen.

DBE-Momo-Graue-Maenner

Nein, es war kein Samstagabend mit Momo, der mich aufs Thema Anzug stimmte. Das könnte man mir durchaus zutrauen. Denn ich mag Buch wie Film. Die Geschichte berührt mich seit einigen Jahren immer wieder. Denn die Geschichte ist eine zutiefst ökonomische, auch wenn sie zuweilen im Vollgeld-Dunst schwabert. Doch eben, darum geht’s mir heute zumindest nicht. Sondern um Anzüge Baby.

Aufs Thema aufmerksam hat mich ein Beitrag der Zeit gelockt. Der grosse Unterschied des Anzuges an und für sich ist, dass er nicht unterscheidet. Ich zitiere:

Anders als bei der bisherigen, am Beruf und der Herkunft des Trägers orientierten Kleidung, sind beim Anzug religiöse, kulturelle oder ethnische Unterschiede nicht mehr sichtbar. Seine Neutralität ist der Schlüssel zum Erfolg.

Das war revolutionär. Das ist revolutionär. Es ist wortwörtlich eine Uniform, eine Uniform der westlichen Zivilisation. Ich schmückte mich zeitlang mit möglichst schrillen Anzügen. Meine Brocki-Touren waren bekannt. Die Anzüge sassen zwar nicht immer perfekt, aber manchmal belohnte der Zufall meine Hartnäckigkeit und ich erwarb Schmuckstücke zu Billigstpreisen. Diese Schmuckstücke konservierte ich nicht, sondern zertrümmerte sie sobald in der nächsten Party. Flecken, Risse, Brandlöcher, ich war der ultimative Anzugzerstörer.

Ich unterlief das System, die Uniform, indem ich sie missbrauchte für meine offensichtliche Tarnung. Denn obgleich ich einen Anzug trug, war es doch sehr offensichtlich, alleine durch die Farbe und den Zustand des Anzuges, dass ich nicht uniformiert oder angepasst war. Ich bediente mich der Kleidung des Systems so wie ich mich der Sprache des Systems bediente. Ich habe die Symbole des Systems für meine Zwecke instrumentalisiert. Das gefiel mir.

Seit meiner Existenz als Unternehmensberater hüllte ich mich vorzugsweise in grauen Anzügen. Das wurde schon bald mein “Markenzeichen”; weisses Hemd, grauer Anzug, braune Schuhe und eine braune Tasche. Ich verringerte damit die lead time meines morgendlichen value stream wie man das im Beratersprech verklausuliert. Das gefiel mir irgendwie auch. Diesmal war die Tarnung besser. Man wollte mich als einen der ihrigen identifiziert wissen.

Mittlerweile verstecke ich mich selten in Anzügen. Ich bin ehrlicher geworden. Ich kleide mich mit einer Stoffhose, vorzugsweise bläulich oder bräunlich und einem vorzugsweise weissen oder blauen Hemd. Die Schuhe sind entweder bläulich oder bräunlich. Das hat zwar die Komplexität meines Kleiderschranks erhöht und sicherlich die Durchlaufzeit im Morgentritt verlängert, aber dafür mir gewisse Individualität und Differenzierungsmerkmale erstattet.

Nichtsdestotrotz fertigt Eniline, eine Schneiderei in Bern, mir zwei superknallige Sommeranzüge; einer in Leinen und einer in Schurwolle. Farbe und Schnitt sind aber gewagt und untypisch. Ich werde Aufmerksamkeit erregen. Vermutlich so viel Aufmerksamkeit wie einst vorm Terminus, als ich mit einem dekadenten weissen Sommeranzug einige Halbstarken provozierte. Und alles in einer Prüglerei zu enden drohte.

Mal schauen.

Rauchen ist geil

Derzeit geilt meine Vorliebe fürs Adjektiv geil. Keine Sorge, ich erzähle nicht über meine reguläre Geilheit oder dergleichen. Ich möchte bloss mit einem Zitat an die Unfreiheit unsrer Zeit erinnern. Frisch geschlüpft aus Michels Ausweitung der Kampfzone.

Zigarettenrauchen ist das einzige Stück echter Freiheit in meinem Leben. Das Einzige, was ich aus voller Überzeugung und ganzer Seele tue. Mein einziger Lebensinhalt.

Vieles ist schon verboten worden, viele Schilder ermahnen uns, was wir tun dürfen und was nicht. Der Staat wacht nicht bloss in der Nacht. Auch die besorgten Bürger üben Wachsamkeit und zeigen kaum Nachsicht. Die Gesellschaft selber produziert den grössten Anpassungsdruck.

Wo wir noch frei sind, ist die Wahl, wie wir unseren Körper verstümmeln wollen. Sei es Zigarettenrauch, sei es Alkohol, sei es Unsport, sei es ungeschützten Geschlechtsverkehr. Wir können riskieren und bloss noch darin unsere Individualität demonstrieren. Denn restlich sind wir alle angepasst, praktizieren entfremdete Arbeit, verlieren den sexuellen Konkurrenzkampf und freuen uns aufs Ende.

Unproduktivität ist geil

Wenn mich eine Arbeit langweilt, bin ich so träge und müde, dass ich sie nicht einmal abschliessen kann. Leider fordern meine Kunden konstante Höchstleistung. Ich kann weder pausieren noch entspannen. Ich werde beauftragt, um Spitzen zu decken. Dennoch faulenze ich.

Das schlimmste für mich ist, etwas zu erledigen, was ich eigentlich nicht will. Mein Berufsleben ist manchmal irr; manchmal muss ich bloss reden, moderieren, vermitteln. Aber manchmal muss ich Analysen, Papiere verfassen. Und diese beelenden mich. Ich weiss nämlich, dass sie nutz- und sinnlos sind. Aber ich werde dafür bezahlt.

Zwar liebe ich solche Tätigkeiten durchaus. Manchmal lenken sie einen ab. Man kann sich auf Details konzentrieren. Man kann den perfekten Absatzabstand evaluieren. Oder das Dokument so mit Querverweisen verstückeln, dass niemand sie jemals folgen wird. Einmal hatte ich ein komplettes Dokument bloss modellbasiert spezifiziert, dann mittels eines selbstkonfigurierten Werkzeugs in ein klassisches PDF verwandelt. Das war Zauber und ich wohl der erste, der das so praktiziert hat.

Man kann sich also in solchen Nebensächlichkeiten vergessen. Derzeit quäle ich mich in Bern mit einer solchen Tätigkeit. Ich bin am Hauptsitz meines Kunden. Im Gebäude nebenan spielt aber die Musik. Meine Mitbewerber tanzen und brillieren. Ich hatte auch brilliert, ich hatte viel und geil getanzt. Aber für mich ist die Party vorbei. Ich bin selber gegangen.

So war ich heute sehr bemüht, einige Formulierungen zu erfinden, einige Trends zu orakeln und einige Meinungen zu festigen. Aber wirklich produktiv und mein Geld wert war ich heute nicht. Das ist hier bloss meine Beichte. Möge man mir erbarmen. Heute war die Sehnsucht nach anderem grösser.

Ausweitung der Kampfzone

Michel Houellebecq ist hier nicht besprochen worden. Vermutlich werde ich ihn auch nicht besprechen. Bei den Berufsjugendlichen habe ich ihn indirekt zitiert. Was soll ich von ihm halten?

Ich habe zeitlang zeitgemässe Literatur boykottiert. Ich gönnte mir mal eine Ausnahme. Das war Abfall für Alle, quasi ein Proto-Blog. Das ist aber lange her. Es hat mich weder beeinflusst noch korrumpiert. Ich bin weiterhin rein.

Als ich aber auf R. Sofas in Brüssel erwachte, sah ich Michels gesammelte Werke. Wohl Hess’ Katerlektüre. Natürlich war ich neugierig und habe Lanzarote angelesen und einige Tage später fertiggelesen.

Nein, ich will immer noch nichts besprechen. Ich will bloss bedauern, dass er der gefeierte Erfolgsschriftsteller ist und ich nicht. Ich will nun nicht behaupten, ich hätte so etwas auch liefern können. Das wäre vermessen; weil wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es gemacht oder so, nicht wahr? Dennoch bin ich ehrlich neidisch.

Mal schauen, lustigerweise gibt’s einige Parallelen und Gemeinsamkeiten.

Wie alleine muss man sein?

Letztlich stirbt jeder alleine. Die Welt betritt man noch durch Mutters Schoss. Die Welt verlässt man auf-sich-alleine-gestellt. Und auch zeitlebens ist man alleine, wenn die Not am grössten ist.

War ich jemals alleine, auf mich selber gestellt? Total zurückgelassen geworden? Durfte ich jemals erfahren, was es bedeutet, niemanden und nichts zu haben? Bloss alleine zu sein? Oder stürze, flüchte ich mich in Bekanntschaften, Liebschaften, in Gefühle oder in Arbeit? Ich bin hier Sowohl-Als-Auch.

Das Auf-Sich-Selbst-Zurückgeworfen-Sein

Die Moderne zwingt einen, und mich besonders als ihr bester “Prototyp”, sich pur und total zu individualisieren. Hier anders, dort anders, hier sich abgrenzen, dort sich abheben. Hier die eigene Bedürfnisse stillen, dort andere für eigene Interessen einspannen. Doch diese Individualisierung empfinde ich nicht bloss materiell und im Dschungel der Privatwirtschaft. Vielmehr empfinde ich diese Individualisierung auch geistig und im Sinne der Lebensphilosophie-Weltanschauung. Wir sind alle verloren, wieso nicht, wer wir sind und wieso wir hier sind. Wir können fundamentale Fragen nicht zweifelsfrei beantworten.

Das Experiment

Vor geraumer Zeit durfte ich erleben, was es bedeutet, total auf sich selber zurückgeworfen-zurückgefallen zu sein. Geistig wie materiell. Ich war physisch und psychisch alleine. Ich hatte kein Geld. Ich irrte durch Deutschland. Im Dschungel Afrikas, in der Steppe Asiens, wohl überall könnte man mit einem Dollar, mit einem Euro pro Tag überleben. In der westlichen Zivilisation stirbt man aber. Ein Dollar, ein Euro genügen nie. Sie entwürdigen. Sie vernichten dich. Sie beschämen dich. Du bist total ausgeliefert. Du bist keine Existenz mehr. Du bist Abfall. Und du bist alleine. So alleine. Die Menschen scheuen deinen Anblick. Sie ignorieren dich. Sie verachten dich, sie stigmatisieren dich, sie pathologisieren dich. Du bist selber schuld.

Du lungerst alleine durch teuerste Passagen. Du bettelst, du gestaltest Plakate. Doch dir ist nichts vergönnt. Du weisst nicht, wo und wie du schlafen wirst. Du weisst bloss, du wirst alleine irgendwo-irgendwie nächtigen müssen. Du löst immerhin Probleme seriell; zuerst kommt das Essen, dann der Schlaf.

Die ewige Einsamkeit

Das alles ist längst vorbei. Mich tröstete damals, dass ich das Experiment jederzeit abbrechen konnte. Schliesslich habe ich es auch vorzeitig abgebrochen. Ich habe gestoppt. Ich konnte irgendwann nicht mehr. Ich war zerfetzt, ich war gebrochen. Ich war zerstört. Ich war nicht ansehnlich. Diese Einsamkeit aber wurde ich nicht los. Ich war seitdem mehr als vorher einsam. Ich wusste, dass in Zeiten grosser Not ich alleine sein werde. Aber auch in Zeiten grossen Glückes ich niemanden hatte, der es mit mir teilen konnte oder es zu würdigen verstand.

Ich hatte mich damit abgefunden, ich war resigniert. Ich war zeitlebens in Beziehungen, aber fühlte mich gleichzeitig einsam und unverstanden. Ich fühlte mich zuweilen ausgegrenzt und verachtet. Auch entfremdete ich mich immer mehr von meinem Umfeld; ich bin zu zynisch und zu abgeklärt geworden. Irgendwann rettete mich die Berufsarbeit. Doch das linderte nicht meine tiefe Einsamkeit. Das tröstete mich bloss. Berufsarbeit schenkt Aufmerksamkeit, Anerkennung und gewisse Würde. Und sie löhnt einen mehr oder weniger angemessen. Das kann das Leben versüssen. Drogen tun das Ihrige. Sie säuseln, versprechen Eskapismus.

Das private Glück

Ich idealisiere, romantisiere keine Einsamkeit. Ich bin mir der Einsamkeit bewusst und gewahr. Ich verteufle sie nicht, ich praktiziere sie. Aber Einsamkeit verneint mir nicht Geselligkeit oder eine Beziehung. Einsamkeit kann man denn auch teilen. Mit Teilen meine ich nicht, man solle Einsamkeit lindern, sich gegen die Einsamkeit verschwören. Mit Teilen meine ich, man solle gemeinsam sich bewusstmachen, dass man prinzipiell und letztlich immer einsam ist und auch bleibt. Das, auch wenn man sich noch so anstrengt. Einsamkeit ist eine Zivilisationskrankheit, verursacht durch gefühlte Entwurzelung, niedergerungene Religionen und das Fernbleiben grosser Ideen und Geschichten, verstärkt durch die totale Ökonomisierung aller Lebensbereichen und den ewigen Konkurrenzkampf aller Akteuren.

Wahr ist, dass ich mich in letzter Zeit nicht mehr so intensiv einsam fühlte wie noch vor einiger Zeit. Ich erwache zwar noch sporadisch in der Nacht und fürchte mich vor der Dunkelheit, weil ich mich nicht orientieren kann, weil ich mich nicht sicher fühle. Aber ich meine, dass das ewige Band der Einsamkeit weniger leistet als noch zuvor. Vermutlich hebt die Zeit das Band an und ab. Ich werde mich irgendwo nivellieren, aber gänzlich entfernen und kann ich meine Grundeinsamkeit, die grundlos ist, nie.

Wie viel weiblicher Erfolg erträgt mein Ego?

Frauen zieren Männer oder umgekehrt? Das klassische männliche Ego fühlt sich herausgefordert durch “erfolgreiche” Frauen. Wie ich’s damit habe, versuche ich in diesem Beitrag zu erklären.

Die Klassik

Klassische Männer bevorzugen klassische Frauen. Klassische Frauen bestätigen sich durch ihre Mutterrolle. Sie sind esoterisch, sie sind liebenswert, sie vermitteln Wärme und Geborgenheit. Sie kümmern sich, sie fühlen sich verantwortlich, sie sind häuslich. Sie sind weder zu verurteilen noch zu verachten. Sie stützen das System und begünstigen den Fortbestand der Rasse.

DBE-Bierwerbung

Der klassische Mann darf ernähren und beschützen. Er sollte mehr Kohle schaufeln. Er sollte erfolgreicher sein. Ich nenne das alles klassisch, weil es überschaubar, einfach, aber irgendwie auch zeitlos und sicher ist. Man sichert damit Identitäten, man stiftet Lebenssinn. Man muss sich nicht quälen, wer man sei und wieso man hier sei. Das beruhigt und entspannt.

Inkompatibel

Bekanntlich bin ich inkompatibel, ich kann und will kein klassisches Leben führen. Ich habe zwar gewisse klassische Werte verinnerlicht und fühle mich deswegen gelegentlich daran erinnert. Aber je länger ich lebe, umso mehr spüre ich, dass mein Leben nicht klassisch enden wird. Das bedeutet, ich muss mich damit auseinandersetzen, dass ich eine Frau habe, die vermutlich erfolgreicher sein kann als sich. Erfolgreicher heisst nicht bloss, dass sie eventuell mehr steuerbares Einkommen generiert, erfolgreicher darf auch heissen, dass sie mehr externe Aufmerksamkeit, Anerkennung, mehr Würdigung und Bestätigung erhalten kann. Mehr als ich?

DBE-Frau-Bett

Aber kann ich damit umgehen, wenn meine Frau angehimmelt, verehrt, gewertschätzt wird? Und das ausserhalb vom geschützten Hause? Von mir Unbekannten, und natürlich von teils noch erfolgreicheren, noch besser aussehenden Männer? Kann das mein Ego verkraften? Wie viel Frau erträgt mein Ego? Stört das nicht die Balance, das private Glück, das auf einer gewissen Gleichartigkeit, auf einem ausgeglichenen Haushalt von externen wie internen Anerkennung und Würdigung und Aufmerksamkeit basiert? Wie werde ich morgens aufstehen, wenn ich weiss, dass die halbe Welt meine Frau bewundert? Dass sie Verehrer abweisen muss?

Das Gleichgewicht

Gleichartigkeit und Gleichgewicht stabilisieren jede Beziehung. Sobald eine Ungleichheit entsteht, sei es intellektuell, finanziell oder auch im Thema “Erfolg”, das sehr mehrschichtig ist, fühlt sich immer eine Partei schlechter, benachteiligter, minderwertiger und muss und wird sich automatisch selber anzweifeln. Mittels Gesprächen lassen sich zwar viele Missverständnisse klären, aber das Unbehagen wird fortbestehen und sich einschneiden. Ich glaube, ich könnte nicht damit umgehen, wenn ich ein Verlierer wäre, nirgends anerkennt und gewertschätzt werde, aber meine Frau gleichzeitig die Gewinnerin wäre, die allenorten bewundert und verehrt werde würde. Ich würde mich nicht adäquat fühlen. Daran könnte eine Beziehung brechen.

Was nun?

Der ausgeglichene Haushalt externer Anerkennung wie Wertschätzung muss und will ich anstreben. Das gilt für mich wie auch für meine Frau. Ich selber kann nicht erfolgreich sein, wenn meine Frau sich so nicht fühlt. Umgekehrt dasselbe. Das bedeutet, wir müssen beide uns bemühen, dass wir auch ausserhalb des gemeinsamen Hauses gewisse Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Wir müssen beide ausserhalb unsere Eitelkeiten schmeicheln lassen. Aber letztlich ist viel wichtiger, dass man sich innerhalb gegenseitig wertschätzt und anerkennt. Damit kann man auch gewisse externe marginale Ungleichheit ausgleichen.

Ich bin bereit.

1 37 38 39 40 41 42