Die Projektion in der Beziehung

Wir projizieren. Beziehungen sind immer Projektion. Wir erstreben ein anderes Leben. Wir kompensieren Defizite. Wir befriedigen persönliche Sehnsüchte. So wie die eigenen Kinder sind Beziehungen immer auch Projektionen. Ich liebe dich, weil du so bist, wie ich nicht bin oder nie sein kann.

Meine Beziehungen waren meistens Projektionen. Sie waren “gezielt”. Ich wollte die einst wilde Künstlerin, die in einem quirligen Quartier haust, kaum Warmwasser hatte, eine Etagenduschen mit einigen Asylanten teilte. Wo kein Alltag ihr Leben regelte. Die mal hier, mal dort war. Die an Autobahnraststätten tourte.

Ich begehrte auch die solide Frau. Die Haus und Garten kultivierte. Die Beziehungen pflegte. Die gewinnend war. Die häuslich war. Eine anständige Ausbildung meisterte. Sich stets weiterbildete. Die finanziell abgesichert war. Die mich stabilisierte, die mich beruhigte. Die ordnete und sich umsorgte. Die kochte und putzte.

Ich habe in beiden Beziehungen persönliche Defizite oder Sehnsüchte aufgehoben. Aber in beiden Beziehungen wurde ich nicht glücklich. Ich konnte mir gute Eigenschaften aneignen. Ich konnte lernen, ich habe mich weiterentwickelt. Aber beide Beziehungen sind gescheitert. Es waren Projektionsbeziehungen.

Ich habe mich quasi “andersgeschlafen”; new dave project als Beziehungsgrund. Solche Beziehungen enden immer tragisch. Sie gründen in einer unerfüllbaren Sehnsucht. Sie basieren auf einer grossen Lüge. Sie täuschen einen. Sie simulieren Liebe, wo vermutlich nie welche war. Sie frustrieren. Weil man immer dieselben Fehler wiederholt.

Nachhaltiger sind Beziehungen, wo man einander respektiert und wertschätzt. Wo man sich selber auch liebt. Wo man den gegenüber lieben kann, ohne dass Liebe erwidert werden muss. Wo man gemeinsam wachsen kann, aber dennoch unterschiedlich. Sich nicht beengen und bezwängen muss.

Man ist eine kleine, aber verschworene Gemeinschaft. Der kleinste gemeinsame Nenner unserer einsamen Gesellschaft.

Wieso wir gelähmt sind

Die geschätzte M. empfahl mir einen Artikel der NZZ, wo eine ansehnliche Claudia Wirz über den Narzissmus dieser Generation klagen durfte. Ich kann verstehen, wieso wir nicht protestieren, rebellieren. Wieso wir nicht kämpfen, stattdessen Selfies publizieren und Verantwortung abdelegieren.

Die Jugend sei kampflos, titelte die NZZaS kürzlich. Ich erwiderte, dass heutzutage niemand mehr die Last der Welt zu schultern vermöge. Denn die Last erdrückt, zerstört jeden. Wer gewissenhaft mit allen Problemen dieser Welt sich auseinandersetzen möchte, die Geschichte der heutigen Situation verstehen will, der wird früher oder später daran zerbrechen. Endstation ist dann die psychiatrische Behandlung oder der freiheitliche Freitod.

Was ich empfehle, ist die grosse Gelassenheit. Man solle nicht die Menschenrechtssituation in China verurteilen. Sie ist wie sie ist. China hat andere Prioritäten gesetzt. Man solle nicht den Klimawandel, die Zerstörung dieser Erde beklagen. Wer wirklich feingeistig sich mokieren möchte, der solle sich engagieren. Solle nach China reisen, dort die Kapital-Kommunisten überzeugen. Der solle jede PET-Flasche ordnungsgemäss entsorgen. Der solle jeden Flüchtling über die Grenze schmuggeln und sein Vermögen spenden.

Ich empfehle Entweder-Oder. Die Welt existiert. Ob wir leben oder nicht, ob wir uns engagieren oder nicht. Ob wir uns interessieren oder bemühen. Die menschliche Rasse wird fortbestehen. Vermutlich werden wir dereinst expandieren, fremde Systeme erkunden. Vermutlich werden wir verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Doch solange sollen wir gedulden. Wir können nichts beitragen; wir sind nichtig. Wir haben weder reach, impact noch influence. Wir können aber privat uns begnügen. Das ist ein guter Lebenssinn.

Die Brieffreundschaft

Wer schreibt, wird wahrgenommen. Schreiben befreit, orientiert und entkrampft. Den therapeutischen Effekt habe ich bereits gewürdigt. Wer bloss alleine schreibt, verkümmert aber. Tagebücher alleine retten nicht, sie lindern bloss. Umso wichtiger empfinde ich, dass man sich austauscht. Dass man liest und gegenliest.

Die Brieffreundschaft kann das bezwecken. Ich hatte früher analoge wie digitale Brieffreundschaften. Die rein analogen endeten jeweils noch einigen Jahren. Ich kenne diese Menschen nicht mehr; ich kann mich kaum noch erinnern. Ich habe mal einem Mädchen geschrieben, vermittelt durch ein Inserat in einer Jugendzeitschrift.

Später schrieb ich analoge Briefe mit Bekanntschaften, die irgendwo fern von Olten waren. Die Mädchen waren hier beflissener. Sie parfümierten und schmückten ihre Briefe. Meine waren nüchtern, immerhin grösstenteils aber lesbar. Wir haben unser Wesen und unser Umfeld reflektiert. Wir haben jeden Brief sorgfältig und mit Bezugnahme, also direkten und indirekten Zitaten beantwortet.

Später folgten Emails. Ich debattierte über Gott und die Welt per Emails. Ich hatte einige digitale Brieffreunde. Manche habe ich auch persönlich getroffen, manche gebumst, manche nie gesehen. Die Themen waren stets intim. Es war nie für eine Öffentlichkeit bestimmt. Manche Krisen meines Lebens habe ich auch so kommuniziert und mitgeteilt. Manchmal war ich schreibend ehrlicher und zugänglicher als sprechend.

Seit mehr als fünf Jahren bewirtschafte ich keine Brieffreundschaften mehr. Ich habe keinen Kanal, dem ich mich öffnen und wo ich empfangen kann. Ich schreibe gelegentlich dem fernen R. Vielleicht schreibe ich ebenfalls der fernen M. Ich vermisse die brieflichen Auseinandersetzung. Wenn ich mit einem “Ziel” schreibe, fühle ich mich ich fleissig-flüssiger. Ein leeres Tagebuch kann einen denn auch blockieren und hemmen.

Mal sehen, was passiert.

Gegrillt

Wir hatten tatsächlich gegrillt. Wir fanden während der gestrigen Dämmerung ein Plätzchen. Holz lag überall herum; ebenso noch Kohle vom Vorabend. Das Feuer brannte rasch. Und so sassen wir ums Feuer und tranken Bier. Grillen heisst auch zu warten. Musik aus zeitgemässen Bluetooth-Lautsprechern verkürzte das Warten auf die Glut. Danach Stecken schnitzen, Würste aufspiessen, Pizzabrot schlängeln und nochmals warten. Ohne Rost ist’s natürlich schwieriger. Wie hatten unsere Vorfahren bloss überlebt? Ich hatte eine verlorene Wurst zu beklagen.  

DBE-Grillen-Nacht

Würdevoll altern

Auch ich altere. Ich bin nun 31 geworden. Ich bin nicht mehr der Jüngste. Diese Wehklagen langweilen mich wie dich. Daher erspare ich sie mir und dir. Dennoch möchte vom Altern sprechen. Vom würdevollen Altern. Ich musste kürzlich beobachten, wie eine Frau meines Alters, die mir unbekannt ist und blieb, nicht wahrhaben, nicht eingestehen wollte, dass sie zu alt sei.

DBE-Nacht-Party

Sie trotzte. Sie leistete Widerstand. Sie konsumierte Drogen. Sie schwankte. Sie schien jederzeit zusammenzubrechen. Ihr Blick war ohne Befriedigung. Ihre Augen verrieten eine unendliche, aber unstillbare Sehnsucht. Sie wollte leben. Doch sie ist längst verlebt. Sie ist wortwörtlich verwelkt. Sie zuckte noch, elektronische Musik temperierte ihre Bewegungen. Furchtbar anzusehen.

Ein einsamer Wolf streunte herum. Auch ihn beobachtete ich. Meines Alters. Im Alter dieser Frau. Er war einigermassen besonnen. Aber auch seine Augen offenbarte eine Sehnsucht. Er war Jäger, aber verzweifelt. Er irrte, kreiste. Prüfte die übrigen Frauen. Ich wartete, bis er seine Altersgenossin entdeckte. Und da erschien sie ihm. Er fokussiert sie aus der Distanz. Und dann näherte er sich.

Wie so üblich, muss man sich irgendwie näherkommen. Wenn die Musik dröhnt, kann man ins Ohr flüstern respektive schreien. Die Frau fühlte sich angerempelt. Zuckte zusammen, schwankte herum, ihre Körperhaltung signalisierte Flucht. Worüber sie sich unterhalten, konnte ich nicht beurteilen. Aber war einigermassen geschickt; er küsste sie immer wieder am Hals.

Er bohrte herum. Bis er sie an sich drückte und küsste. Sie war zunächst empört. Aber später liess sie sich gehen. Was hätte sie sonst tun sollen? Er war entschlossen genug, hier das leichte Opfer zu finden. Aber es schien mir so erzwungen, so verkrampft. Das war weder Leidenschaft noch Liebe. Es war bloss Trost; Ausflucht. In diesem Moment war ich glücklich; ich lächelte.

Ich entledige mich meiner Zigaretten; ging fort, blickte kurz zurück. Sie torkelten noch. Das neue, junge, frische Paar. Ich schwor, dass ich irgendwie würdevoll altern solle. Irgendwann tanzen neue Jahrgänge. Wir müssen uns zurückziehen. Wir müssen uns einsperren. Wir können zwar unsere Räume bauen, aber wir sind ausgesondert. Wir werden bald sterben.

Danke R.

Ein gewisser R., der uns allen vertraut ist, hatte mich kürzlich beruhigt. Ich möchte in aller Höflichkeit danken. Vermutlich bist du ausgeglichener, wenn ich unausgeglichen bist und umgekehrt. Denn ich habe das Gefühl, wir wechseln uns einfach ab; wir rotieren. Aber was bedeutet das dialektisch? Müssen und können wir uns gegenseitig aufheben? Ist Heirat unsere Lösung? Doch wen heiraten wir? Du deine und ich keine?

Gespräche über Selbstmord

In meinem Umfeld ist’s üblich, dass der Freitod etwas Freiheitliches und Individuelles ist. Gewisse sind schon gestorben, manche hatten es vergebens versucht. Andere haben sich daran gewöhnt. Ich bin diesbezüglich relativ entspannt und flexibel. Hier ein Ausschnitt eines Gespräches.

“Wie überlebst du?”
“Überhaupt nicht.”
“Aber was hält dich funktionierend?”
“Die Gewissheit, mich jederzeit im Schrank aufhängen zu können.”
“Ok. Das gefällt mir, das tröstet. Das entspannt. Das macht uns gelassener.”
“Mal sehen.”

Meine Aufmerksamkeitsdroge

Aufmerksamkeit ist die schlimmste Droge. Ich liebe Aufmerksamkeit. Ich kann diverse Rollen spielen, damit ich Aufmerksamkeit erlange. Ich bin schon seit jeher aufmerksam bedacht worden. Das stiftete und bildete meine Identität. Meine Rollen könnten Bücher füllen; was sie auch werden, sobald der Stoff reift und heranwächst. Aber ich bin abhängig geworden. Ich kann keine Stunde überleben, ohne dass ich Aufmerksamkeit spüre.

Ich meine damit nicht primär die Anerkennung, wie bereits auch hier dargestellt. Auch diese muss gehaushaltet werden. Ich meine grundsätzliche Aufmerksamkeit. Dass beispielsweise jemand an mich denkt oder jemand sich sorgt. Ich liebe das Gefühl; ich möchte teilgenommen werden. Ich kann das mit unterschiedlichen Rollen erzielen; mit unterschiedlichen Handlungen.

Ich kann empören oder beglücken und erhalte gleichermassen Aufmerksamkeit. Mit der Empörung habe ich mich über die Jahrzehnte gerettet. Ich durfte viele Menschen irritieren, ich durfte viele Menschen verletzten. Und alle sie bedankten sich mit Aufmerksamkeit. Ich war und bin geil darauf. Ich und das befeuerte mich. Denn Ablehnung ist unmittelbar und meistens ehrlich. Ehrlicher als positive Aufmerksamkeit. Sie lügt weniger.

Wie kann man als Süchtiger sich durch den Tag schlängeln? Kann ich ebenfalls von abstrakten oder vergangenen Reserven schöpfen? Nein, Aufmerksamkeit verflüchtigt sich sofort, so wie die Anerkennung. Ich kann Aufmerksamkeit nicht bunkern und mir für spätere Tage aufsparen. Ich brauche alles hier und jetzt. Ich muss Aufmerksamkeit immer höher dosieren, immer intensiver, damit ich sie noch spüre.

Aber kann ich so enden? Kann ich so weiter überleben? Nein, ich brauche einen Entzug. Ich muss mich wieder zurückziehen. Asketischer leben. Ohne Aufmerksamkeit und freilich ohne Anerkennung. Und mir dessen bewusst sein. Ich muss mich auf kleine Dinge fokussieren, die die meinen sind. Ich muss ohne ein Umfeld überleben können. Nur so kann ich die Sucht lindern. Weil ansonsten “rotiere” ich. Und das ist sehr unfuturistisch; denn dann kreise ich. Dann verliere ich mich.

Die stete Unruhe

Die Unruhe zerstreut. Solange wir rasen, müssen wir uns nicht auseinandersetzen. Solange wir irren, müssen wir uns nicht finden. Solange fühlen wir uns unbeschwert und entspannt. Ich atme tief und fest. Ich sollte mich auseinandersetzen, doch stattdessen zwänge ich mich mit einem totalen Programm. Ich sehne mich nach sogenannter Ruhe, nach sogenannter Besinnlichkeit und gewissermassen Meditation.

Denn ich fühle mich entspiegelt. Ich vermisse mein Tagebuch; ich vermisse meinen Rückzug. Ich vermisse den offenen, den freien Moment des Rückzuges. Ich vermisse mein Refugium; meinen sicheren Hafen quasi. Doch stattdessen beschleunige ich; ich rase. Ich rase mit 200 km/h besoffen durch die Nacht. Ich riskiere mein Leben; ich veruntreue meine berufliche Zukunft. Ich bin endlos. Ich liebe das Gefühl, dass alles plötzlich enden könnte; meine Tarnung ist aufgedeckt, meine Finanzen ruiniert und ich werde gesellschaftlich geächtet.

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