Im Alltag geprüft

Der Alltag prüft jeden Menschen, jede Beziehung. Der Alltag kann alles zerstören. Der Alltag kann aber alles beruhigen, alles regulieren und entspannen. Wir sind daran gemessen, wie gut wir funktionieren. Sei es im Beruf, sei es in der Liebe, sei es als Familie. Wir idealisieren die verwaltete Familie, die im gemeinsamen Cloud-Familienplaner den Alltag regelt.

Wir romantisieren die vernünftige Beziehung, welche den Nachwuchs besonnen züchtet und wählt, den perfekten Zeitpunkt abwartet und notfalls nachhilft. Wir wollen das Leben im Griff haben. Der Alltag zähmt das Leben. Der Alltag kanalisiert unsere Befindlichkeit. Der Alltag nivelliert uns alle, damit wir alle uns einreihen und anordnen können.

Auch ich tanze im Alltag. Ich verreise, ich kaufe ein. Ich besuche. Ich unterhalte. Ich entdecke. Der Alltag kann einen quälen. Mein Alltag erfreut mich. Ich pendle zwischen den Mandaten. Ich kämpfe um meine berufliche Unabhängigkeit. Ich liebe ohne Schrecken wie Bedingung. Ich trolle ganz futuristisch. Ich bin zufrieden und befriedet.

Der Alltag aber kann beirren. Denn der Alltag simuliert Sicherheit, Berechenbarkeit. Wir wollen den Alltag voraussagen. Wir wollen die Ereignisse erwarten. Doch das Leben überrascht uns stets. Mit dem Alltag wollen wir solche Ausschläge abflachen. Wir wollen uns einmitten. Doch so verlieren wir kontinuierlich Leidenschaft und das kleine Glück im Alltag.

Weil wir bloss noch reaktiv uns anpassen. Wir werden getrieben. Wir führen nicht mehr. Wir leben nicht mehr selbstbestimmt. Wir unterwerfen uns. Wir gestalten eine organisierte Langeweile. Ohne dass wir es bemerken. Der Alltag erobert plötzlich auch die Liebe, die Sexualität. Plötzlich ist alles getaktet. Wir entzaubern die letzte Magie.

Doch was kann ich meiner Leserschaft raten? Wie kann man den Alltag wiedergewinnen? Wie kann man wieder das eigene Leben lenken? Indem man sich daran reibt. Indem man Widerstand leistet. Indem man gewisse Muster ablehnt. Ein Verhalten zurückwirft, nicht akzeptiert. Grenzen markiert, aber sie stets wieder überquert.

Ich kenne meine Grenzen. Ich lasse mich nicht anschnauzen, wenn keine unmittelbare Lebensgefahr mein oder das Leben eines Mitmenschen bedroht. Ich lasse mich nicht erniedrigen. Ich lasse mich nicht anschreien. Manchmal muss man jedoch eskalieren. Aber bloss, wenn man sich wieder versöhnt. Das ist schwer, aber durchsetzbar.

Ich meine nicht post mortem. Wir können alle lernen und uns verbessern, nachträglich und bereuend. Ich meine den Augenblick, den Augenblick im Alltag. Dort müssen wir Muster brechen. Dort müssen wir uns zuweilen überwinden. Wir dürfen uns nicht festfahren. Wir müssen beweglich bleiben. Wir müssen uns erweitern.