Die ländliche Mutter

Irgendwie verehre ich die bodenständige, die vitale und energische Mutter, die aufm Land lebt, täglich kocht, die Kindchen füttert, das Heim umzäunt. Ja, irgendwie. Ich weiss nicht, ob meine Melancholie herausbricht. Ob ich damit mein Unbehagen mit der dekadenten, entfremdeten, auf Asphalt errichteten Zivilisation ausspreche.

Ein bäuerlicher Dialekt, ein hängender Busen, das ungekämmt-gezähmte Haar. Kaum geschminkt, eine zu tief sitzende Hose. Eine zweckmässige Kleidung, ein beruhigter, abgeklärter, weil geerdeter Blick; dunkle Augen. Das Haar leicht gewellt, bald angrauend. Die Latschen von Adidas. Oder so idealisiere ich die ländliche Frau.

Die Mutter ist roh, aber fürsorglich. Sie kann zupacken. Sie kann entscheiden, sie kann weinen, sie kann lachen. Sie lebt, weil sie mit den Jahreszeiten den bescheidenen Garten hegt. Sie ist nicht antiintellektuell, sie ist interessiert, doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Sie befürwortet gewiss den (städtischen) Atomausstieg.

Sie ist nicht kalt, sie erwärmt jeden. Auch Fremde. Sie öffnet Türen, sie verurteilt und verachtet nicht. Sie würde niemals sich überhöhen. Im Gegenteil, sie krüppelt mit grösster Demut. Sie verzeiht stets, sie erbarmt. Sie glaubt offensichtlich ans Gute des Menschen; deswegen verleiht und verschenkt sie wie sie kann.

Sie verausgabt sich mit unendlicher Mutterliebe. Man kann sie kaum ausschöpfen. Sie wird ihre Kindchen stets unterstützen. Sie wird nicht über eine vermeintlich falsche Berufswahl lamentieren. Sie wird keine Matura forcieren. Sie appelliert an Glück, Eigenverantwortung und Selbstzufriedenheit. Sie spart.

Gewiss kann man mit dieser Mutter keine Weltreiche errichten, man kann keine fremden Länder ausbeuten, minderjährige Kinder unterentwickelten Ländern schänden; man kann keine Wirtschaftskriege entscheiden. Man kann stattdessen ein Haus bauen, man kann Glück konservieren, man kann die Brut wärmen.

Ich kann kein Heimchen aushalten. Finanziell durchaus. Ich bin ein Grenzgänger. Ich kann die ländliche Sehnsucht nachempfinden, aber ich kann und will sie nicht verwirklichen. Ich kann mich diesem Agglomerationsideal nicht anfreunden. Ich kann nicht plötzlich mich in ein Einfamilienhaus zwängen. Gut, muss ich nicht.