Das Kleinstadt-Wunder

Die Kleinstadt ist unbestellt. Du kannst rascher wirken und bewegen. Das fasziniert. Du kannst problemlos Banden knüpfen. Du kannst schneller beeinflussen. Du kannst dich arrangieren, gemütlich einrichten, deinen Alltag ritualisieren. Du kannst die Komplexität begrenzen, du kannst deine Managementkapazitäten schonen.

In einer grösseren Stadt hingegen bist du weitaus mehr herausgefordert. Du hast keinen sicheren Hafen, du hast kein Netzwerk. Vielmehr bist du alleine, du kannst nirgends zurückfallen, du kannst nirgends dich beruhigen und entspannen. Du bist angespannt, musst liefern, musst dich beweisen, etablieren; immer wieder erfinden.

Oder man vergrössert sein Netz, lebt im Quartier, im Viertel, im Kiez und in den Bars. Man vertraut nur gewissen Lokalen, einer Szene, einem gewissen Umfeld, das sich meistens aus Arbeitskollegen rekrutiert. Man verabredet sich eventuell auch mit Ausländer, mit Grenzgänger, mit Wochenaufenthalter. Mit den heutigen Wanderarbeitern.

Ich habe mich immer in der Kleinstadt orientiert. Das war mein Referenzwert. Olten ist gewiss einzigartig. Wir haben sogar Kultur, wir haben eine Szene, die sich engagiert. Ich kenne alle Aktiven persönlich. Ich könnte über jede Person informieren. Ich selber bin auch einigermassen bekannt, schliesslich habe ich gelebt.

Und nun wohne ich in einer grösseren Stadt, 170’000 gegen 17’000 Einwohner. Ich kenne knapp zehn Personen von 170’000, dagegen 400 von 17’000. Durchaus ein Kontrast. Ich bin noch nicht zu alt, um neue Menschen kennenzulernen. Doch alle in meinem Alter haben bereits Mühe, ihre bisherige Freunde zu pflegen. Jetzt komme ich.

Niemand erwartet mich, ich kann die Stadt nicht bereichern. Ich kann nicht aktiv mitgestalten; die Stadt ist bereits verbaut. Die Menschen sind bereits in ihren Szenen gruppiert. Sie kennen sich ebenfalls seit Jahrzehnten. Man kann zwar mit neuen Bekanntschaften ausgehen, trinken und essen.

Das verstimmt mich gelegentlich. Ich trauere Olten nach. Ich vermisse die Menschen. Doch fühle ich mich meiner neuen Heimat gross verpflichtet. Ich möchte meine neue Heimat erkunden. Und das tue ich bereits. Ich möchte mich in Basel betrinken. Ich möchte meine Freunde in Basel empfangen. Am Rhein, in den Bars, zuhause. Kommt.