Month April 2020

Über die Eifersucht

Komischerweise habe ich noch nie etwas über die Eifersucht publiziert, obwohl ich mich an zwei Ereignisse erinnern kann, die damals meinen Verstand beinahe ruiniert haben. Vermutlich habe ich das erfolglos verdrängt. Die Eifersucht ist ja auch ein Gefühl, das den meisten Menschen (leider) vertraut ist.

Eifersucht ist Liebesentzug. Oder zumindest die Ahnung von einem baldigen Liebesentzug. Es ist die Angst vorm Liebesentzug. Oder der Liebesentzug ist bereits eingetreten. Beispielsweise ist der Aufmerksamkeitsspiegel gesunken oder die kleinen Alltagssymbole der Zuneigung und Wertschätzung sind vermindert und/oder verzerrter. 

Was Eifersucht nährt, sind triviale Ereignisse. Der Partner schützt plötzlich das Natel. Das stimmt anfänglich misstrauisch. Oder bekannte Liebkosungen entfallen. Plötzlich ist die Umarmung oder der Kuss frühmorgens nicht mehr so ganz freiwillig und spontan, sondern gefühlt erzwungen. 

Die Eifersucht blockiert die Psyche. Plötzlich werden alle Ereignisse im Kontext der Eifersucht gedeutet. Der Partner kehrt später heim als üblich? Eifersucht. Der Partner praktiziert eine Notlüge? Eifersucht. Der Partner verbirgt etwas? Eifersucht. Der Partner ist auf der Toilette am Natel? Eifersucht. 

Auch ist die Eifersucht immer eine Projektion. Zu welchen Handlungen bin ich selber imstande oder fähig? Könnte ich meinen Partner ebenso grausam, hinterfotzig und kaltblütig verlassen und betrügen? Die Angst vor dem eigenen Verhalten, vor dem eigenen Selbst begünstigt und nährt schliesslich die Eifersucht. 

Die Eifersucht ist fortgeschritten, wenn man eine Entscheidung forcieren möchte. Ein eindeutiges Bekenntnis zur eigenen Person. Entweder ja oder nein. Man ersehnt die Gewissheit und Wahrheit. Bilde ich mir das alles bloss ein, trügen meine starken Gefühle bloss mich? Oder ist die Eifersucht gerechtfertigt?

Die Maxime, lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende, motiviert dabei. Einzig die Gewissheit, ob man halluziniert oder eben nicht, kann einen befreien. So verhält man sich automatisch destruktiv. Man überlistet sich selber, man spioniert beispielsweise auf Facebook und protokolliert Bewegungsprofile. 

In diesem Zustand ist die Eifersucht schwierig zu überwinden. Beinahe die letzte Eskalationsstufe ist damit gelungen. Spieltheoretisch ist die Beziehung danach unberechenbar. Sie ist endlich komplex. Der Partner hat sich vermutlich bereits an die Eifersucht gewöhnt, ist ebenso destruktiv und fördert sie ebenso unterbewusst.

In diesem Zustand muss eine Partei das Muster brechen. Entweder beschwichtigt der Partner unaufgeregt, erklärt die Handlungen in einem anderen Kontext statt der Eifersucht. Oder der Fühlende akzeptiert die Eifersucht und entwickelt alternative Bewältigungsstrategien, die nicht in der stetigen Konfrontation enden.

Falls die Eifersucht jedoch sich bewahrheitet, ob selbsterfüllend oder nicht, so sind beide Parteien gefordert, möglichst rasch die Situation zu klären. Die Wahrheit kann vielfach entspannen. Sie könnte sogar die Beziehung wiederbeleben. Sie könnte die Grundlage fürs spätere Vertrauen bilden. 

Eine einseitig verdrängte und unterdrückte Eifersucht belastet jede Beziehung. Beide Parteien müssen die Eifersucht ausdiskutieren und vor allem “rote Linien” vereinbaren können. Wann bin ich getriggert? Was provoziert meine Eifersucht? Wie kann ich meine Eifersucht verarbeiten? 

Die meisten Beziehungen jedoch sind oberflächlich und können niemals diese Tiefe erreichen. Stattdessen rumort eine einseitige Eifersucht die Beziehung, sabotiert diese, wo sie kann und minimiert den ehrlichen Austausch auf Augenhöhe. Oftmals ist der Fühlende in seiner Eifersucht auch “diskreditiert”.

Der Fühlende solle nicht so kindisch sein, solle endlich erwachsen sein, solle endlich wieder funktionieren und sich beherrschen. Mit solcher Argumentation untergräbt der Partner automatisch die Würde des Fühlenden. Der Fühlende fühlt, das Gefühl ist wahr, es ist da. Und es ist zu intensiv, alsdass man es einfach ignorieren könnte.

Diese Art der Missverständnisse verschlechtern die Beziehung. Diese Art der Missverständnisse können jedoch gelöst werden, indem die eine Partei sich selber eben verzeiht und akzeptiert oder die andere zuhört und versteht und nicht bagetallisiert oder die Eifersucht zurückspielt oder gar alles verheimlicht, was Eifersucht verursacht. 

Die unausgesprochene oder die nicht angesprochen dürfende Eifersucht ist die schwierigste und schlimmste. Ein Partner, der sie bloss verharmlost, nicht ernstnimmt oder sogar ächtet, riskiert einen Vertrauensverlust. Die vernachlässigte Eifersucht stiftet abermals Eifersucht. Eifersucht ist manchmal auch bloss ein Sehnen nach Aufmerksamkeit.

Eine verletzte Eitelkeit kann ebenfalls Eifersucht verursachen. Eitelkeit ist eine verbreitete Eigenschaft der neurotischen Menschen. Solche Menschen hängen von konstanten Aufmerksamkeitsdosen ab. Die Dosierung muss stets ausgeglichen sein. Eine kleine Abweichung kränkt die Eitelkeit und hat Eifersucht zur Folge. 

Diese Eifersucht kann vom Fühlenden selber behandelt werden. Die Selbstauseinandersetzung hilft. Warum bin ich so angewiesen auf Aufmerksamkeit? Warum bin ich so verletzlich? Wie reduziere ich meinen Bedarf an Aufmerksamkeit? Oder können alternative Aufmerksamkeitsquellen kompensieren?

Die Eifersucht gestaltet eine Beziehung komplex. Dadurch reift die Beziehung, dadurch können sich die Parteien mehr binden. Die Eifersucht ist nicht zwangsläufig destruktiv, sondern kann auch aktiviert werden. Schliesslich beweist Eifersucht, dass man irgendwie abhängig ist. Abhängigkeiten sind gesund in Paarbeziehungen. 

Weil ohne Abhängigkeit kann kein Vertrauen entstehen. Verletzlichkeit, Schutzlosigkeit – das fördert Vertrauen. Im Augenblick, als der Fühlende Eifersucht zeigt, ist er verwundbar, verletzlich, ganz schutzlos, und damit ganz menschlich. Diese Chance der Verbundenheit aufzugreifen, ist für den Partner geboten.

Wer die Eifersucht des Partners akzeptiert, wertschätzt den Partner als natürlichen Menschen mit natürlichen Bedürfnissen und Gefühlen. Woher die Eifersucht auch stammt, selbstverschuldet durch Eitelkeit, fremdverschuldet aufgrund Spannungen in der Aufmerksamkeit, sie bildet den Menschen und die Beziehung. Das gilt es zu würdigen.

Ein Leben ohne Eifersucht ist nicht möglich – es ist jedoch möglich, mit Eifersucht zu leben.

Mühsal der Selbstauseinandersetzung

Der Notstand provoziert die Selbstauseinandersetzung. Zuhause gefangen, isoliert, ohne Kulturindustrie fällt der Mensch plötzlich auf sich selber zurück. Dasselbe Schicksal teilen die Aufgeklärten, Depressiven und Grübler dieser Welt, die irgendwann – meistens zu spät als zu früh – mit dem Nachdenken und Sinnieren unbeholfen starten. 

Unbeholfen deswegen, weil weder Eltern noch Schule die Selbstauseinandersetzung uns lehrten. Wir alle beginnen mit denselben Unerfahrenheit. Plötzlich, vermutlich allerspätestens mit 40, versuchen wir unser Selbst zu verstehen. Meistens nicht, weil wir wollen, sondern weil wir müssen.

Entweder sind unsere bisherigen Gegenwartsbewältigungsstrategien gescheitert oder nicht mehr angemessen für die jüngsten Ereignisse. Oder die äusseren Verhältnisse haben sich gewandelt dergestalt, dass wir notgedrungen uns auseinandersetzen müssen, wovor wir stets geflohen sind. Das auslösende Ereignis ist – einmal mehr – irrelevant.

Jetzt sind wir unbeholfen, unerfahren – und müssen uns auseinandersetzen. Wir müssen reden, Zwiegespräche führen. Plötzlich ist nicht mehr alles ganz einfach, die Leichtigkeit des Daseins ist verflüchtigt. Plötzlich sind alle Gedanken schwer, jede Tat bedenkenswert. Wir zweifeln hier und da. Die Gedanken wiederholen und kreisen. 

Die Selbstauseinandersetzung ist keine exakte Wissenschaft. Kochbücher, Anleitungen helfen nicht. Sie verunsichern. Die Selbstauseinandersetzung ist, sobald einmal eingetreten, ein immerwährender Prozess und kann nicht storniert werden. Ein Status quo ante kann nicht hervorgerufen werden. Entweder ist man drin – oder nicht.

Ein Prinzip der Selbstauseinandersetzung ist, dass man selber Bewältigungsstrategien entwickeln muss. Man kann zwar sich inspirieren lassen, doch umsetzen muss man selber. Es ist eine Adoption. Die Bewältigungsstrategien entstehen aus gesammelten Erfahrungen. Wir können unsere Strategien teilen, wir können Mitmenschen teilhaben lassen.

Doch bewältigen müssen wir unser Selbst selber. Niemand kann das schultern. Auch kein Psychiater oder Heiler. Der Psychiater bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Klassische Ausdruckstechniken können unterstützen. Sie entlasten die Psyche, reinigen. Doch sie erzeugen keine neuen Erkenntnisse. 

Wer bloss ausdrückt, ist irgendwann entleert. Er muss sich wieder frisch stimulieren, wieder dramatisieren – aber ist doch ohne Erkenntnis und Gewinn. Der Ausdruck stärkt die Selbstauseinandersetzung insofern, als man über den Ausdruck reflektiert, man die Botschaften liest und allmählich zu begreifen versucht. 

Wer also ein ausdrucksstarkes Tagebuch schreibt, soll die Botschaften nicht bloss archivieren, sondern regelmässig interpretieren und stets angesichts jüngster Ereignisse bewerten. Oder wer ausdrucksstark tanzt, soll seinen Tanz aufzeichnen, im Nachhinein studieren und Befindlichkeiten in einen Kontext setzen. 

Effektive Methoden, den Ausdruck zu begünstigen, sind alle modellhaften. Ob LEGO oder eine sonstige Knetmasse, ob semiformale Visualisierungen oder Graphen mit Kanten und Knoten. Modelle abstrahieren, vereinfachen und vor allem repräsentieren sie. Man kann ein Modell reformen, zerstören, bewusst überwinden. Und man arbeitet mit Hand und Kopf. 

Es ist stets das Modell, das man betrachtet – und nicht das eigene Selbst. Man kann sich auch distanzieren. Man ist die dritte Person singular. Dadurch kann man ehrlicher, direkter und unmittelbarer interagieren. Man ist authentischer; Selbstbetrug ist minimiert. Und wenn das Modell nicht mehr passt, kann man es entsorgen, ohne die Persönlichkeit zu verletzen.

Doch auch mit geeigneten Ausdruckstechniken gleicht die Selbstauseinandersetzung einer Hydra. Sobald man aus einer Gedankenspirale entwunden ist, folgt die nächste, die einen erstarrt. Die befreienden Erkenntnisse rücken zeitversetzt nach. Was heute absurd ist, ist in einem Jahr plausibel. Kann man diesen Prozess aushalten? Fraglich.

Die Selbstauseinandersetzung in letzter Konsequenz ist grausam, schonungslos. Wir sind perfekt ausgebildet, selber uns zu belügen. Die kleine Notlüge sei ganz harmlos, wollen wir meinen. Schliesslich brüskieren wir damit ja auch keine Mitmenschen – bloss uns selber. Das ist doch hinnehmbar? 

Mag sein, dass eine einzige Notlüge unsere Psyche beruhigen kann. Vielmehr ist es die Summe der Notlügen, die besorgen muss und die Selbstauseinandersetzung insgesamt verunmöglicht. Wer einmal sich selber belügt, kann es mit 50%iger Wahrscheinlichkeit auch ein zweites Mal. Und dadurch verlieren wir uns im Kreislauf des Selbstbetruges.

Hier irgendwann zu bremsen, das grosse Muster zu brechen, kann einen erschüttern und den gesamten Lebenssinn rauben. Man muss eingestehen, was man verfehlte. Man muss seine komplette Biografie neu klären. Ein grausamer, mühseliger Prozess. Es ist durchaus menschlich, die Selbstauseinandersetzung konsequent zu scheuen. 

Ich will meine Leserschaft dennoch zur Selbstauseinandersetzung motivieren. Gemeinsam schreiten wir durchs Tal der Tränen und schöpfen Erkenntnis. Die Selbstauseinandersetzung als Prozess verspricht durchaus Zuversicht und Kraft, weil man stets sich nähert. Mögen Rückschläge uns verwirren, doch letztlich ist jede Selbsterkenntnis wertvoll und stiftet Sinn.

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