Month September 2016

Leben verschwenden

Ich sehne mich nach Intensität. Daher verbrenne ich mein Leben. Ich werde immer wieder scheitern. Ich werde immer wieder mein Glück riskieren. Ich werde niemals ruhen. Bloss eine Frau vermag mich zu bremsen und zu beruhigen. Aber ohne Frau vergeude ich jeden Tropfen Lebenssaft. Ich verjuble mein Geld. Ich überhöhe meine berufliche Karriere. Ich dokumentiere mein Leben. Ich verprasse mein Sozialkapital. Ich bin kein rock star zwar. Aber ich bin besessen, dass ich mich nicht mittelmässig einordnen werde. Ich hasse das System, die Menschen. Ich spiele bloss mit. Und deswegen leide ich immer mit. Ich werde irgendwann erlöst. Doch vorerst randaliere ich.

Abgeschiedene Menschen

Ich kenne etliche Menschen, die sich verstecken. Sie müssten sich nicht verstecken, aber sie hassen die Aussenwelt. Sie wollen dort nicht irren. Sie mögen die Menschen dort nicht. Also haben sie beschlossen, ihren Kontakt zur Aussenwelt aufs Nötigste zu minimieren. Das beinhaltet einige Einkäufe im Supermarkt. Endlose Nazi-Dokumentationen rauschen im Hintergrund. Sie gehen weder aus noch verabreden sie sich. Man muss sie aufspüren. Manche verrichten einen Brotberuf, anderen wird privat oder staatlich geholfen. Das Internetz kapselt ihren Weltbezug. Sie überleben apathisch. Die Steuerrechnung erinnert, dass sie noch atmen.

Naivität ist gut

Wer emotional riskiert, gewinnt und verliert gleichermassen. Wir fürchten Abhängigkeit, Bindung und Vertrauen. Ich mittlerweile aber nicht mehr. Mich besorgt nicht mehr, dass jemand mich verletzen könnte. Ich möchte nämlich nicht steril und leidenschaftslos lieben wie leben. Ich würde mein Verhalten jederzeit wiederholen.

Das, weil ich naiv bin. Ich könnte zwar ebensogut abgeklärt und zynisch sein. Liebe verharmlosen. Die Wirkung verblenden. Aber ich mag nicht. Ich möchte mich lieber verausgaben. Ich möchte lieber erfahren und spüren. Ich möchte atmen. Ich vertraue. Ich glaube. Schimpft mich naiv.

So werde ich halt ausgenutzt. Ich überlebe. Denn ich fühle mich nicht so. Denn mich beseelt, Menschen zu lieben, ohne dass sie Liebe erwidern. Ich liebe bedingungslos. Wieso müsste ich mein Verhalten ändern? Ich gewinne und verliere. Ich gewinne Momente der wahren und tiefen Liebe. Ich verliere das Glück früher oder später.

Man kann mich schädigen. Aber ich könnte mich selber zerstören. Ich könnte von der Krete stürzen. Ich könnte ins Wasser steigen. Ich könnte mich mit Anforderungen überfordern. Dagegen verblasst Liebeskummer. Liebeskummer ist befristet. Die allgemeine Unruhe aber nicht. Die dauert. Ich akzeptiere.

Auch regulär vertraue ich den Menschen. Wieso sollte ich ihnen misstrauen? Ich belaste mich bloss. Ich versteife, wenn ich immer zweifeln muss. Ich vereinfache. Also ist jeder Mensch per Default gut und vertrauenswürdig. Einen Vertrauensvorschuss. Ich anerkenne diesen Vorschuss allen Menschen. Sie müssen mich widerlegen.

Wer so agiert, kann viel mehr Bindungen etablieren. Weil das erhöht die Chance, dass jemand das geschenkte Vertrauen mir anvertraut. Ich möchte nicht, dass man sich zwanghaft revanchieren muss. Ich will eine Option ermöglichen, dass man sich annähern kann. Ansonsten enden Zusammenkünfte, ohne dass man verbunden ist. Damit enttäuscht man sich viel mehr. 

Über die Selbstbefriedigung

Du bist angespannt, du bist überlastet? Du sehnst dich? Wonach auch immer? Du hast zu viel Energie. Zu viel Lebenswille. Dein Eros ist gross? Du quälst dich? Du beherrschst und mässigst dich? Du willst ausbrechen? Dann wixxe mal ordentlich. Aber bitte mit Leidenschaft. Bitte intensiv. Nicht bloss zwei Minuten. Nein, fordere dich mindestens dreissig Minuten. Geniesse deine Erektion. Und dann erlöse dich. Das befriedigt, befreit und besänftigt. Das tröstet. Erinnere dich an meine Worte!

Wie fühlt man depressiv?

Depressiv ist, wer seinen Anforderungen nicht entspricht. Wer sich selber einredet, er könne dies und das bewerkstelligen. Aber dann mitansehen muss, wie er scheitert und nicht einmal dies und das kann. Depressive Menschen überbeanspruchen sich selber. Sie sind die härtesten Kritikern. Sie zerreissen sich selber. Sie beklagen, dass sie nicht angetrieben sind. Sie jammern, dass sie nicht erreicht haben, wozu fähig wären. Sie zerstören sich selber. Sie fühlen Ohnmacht, weil sie immer wieder versagen, was sie eigentlich bewältigen könnten.

Wir erleiden eine Massendepression. Das ist unsere liebe Zeit. Wir alle sind depressiv. In meinem unmittelbaren Umfeld ohnehin. Ich kenne kaum Ausnahmen. Alle Menschen, denen ich mich nähere, fühlen, dass sie unter ihren Möglichkeiten, Optionen und Potentialen sich entwickeln. Unter ihrem Wert verkaufen müssen. Sie sind aufgefordert, mehr leisten zu können respektive zu müssen. Sie genügen sich nicht. Sie sind unendlich-faustisch. Sie quälen und verstümmeln infolgedessen sich selber. Sie leiden.

Sie leiden unverschuldet. Film und Buch verzehren unsere Realität. Dieses Getue über Generation Y verblendet uns. Wir überhäufen uns mit Anforderungen. Weil wir besessen sind, dass everything goes. Wir können nicht mehr anerkennen, dass wir alle begrenzt sind. Dass unsere Optionen verfallen, dafür neue erwachsen. Ich diagnostiziere eine Massendepression. Wir sind alle verfahren. Wir müssten bloss innehalten, wir müssten uns bloss konzentrieren und anerkennen, was wir gegenwärtig wirklich tun.

Wir müssen den Wert unserer aktuellen Situation bemessen. Wir dürfen unsere aktuelle Situation nicht vergleichen damit, was alles möglich, besser oder anders sein könnte. Es ist nicht anders. Wir sind so, wie wir gefangen sind. Wir werden unsere Gelegenheiten erhalten, neue Lebenssituationen zu schaffen. Wir müssen bloss ruhen. Wir müssen bloss unsere Anforderungen mindern. Das Leben ist gut und langatmig. Wir verpassen nichts. Wir verpassen aber ansonsten, dass wir in der aktuellen Lebenssituation glücken.

Mein grosszügiger Strassenkredit

Ich geniesse gewisse Glaubwürdigkeit auf Oltens Strassen. Wenn man mich bloss “sieht”, könnte man nicht vermuten, wie abgefuckt ich war und bin. Ich wirke einigermassen beherrscht und seriös, einigermassen kontrolliert. Aber ich grüsse SVP-Politiker, FDP-Sympathisanten, Albaner-Mafioso, Punk-Junkies und Sex-Nutten gleichwertig. Ich bin zwar kein Stadtoriginal, aber ich bin exzentrisch, auffallend und natürlich umstritten.

Die wirklich Abgefuckten, deren Lebensläufe wirklich derber sind als der meine, respektieren und akzeptieren mich. Weil ich kein Schnösel bin. Weil ich weiss, was Armut bedeutet. Weil ich spüre, was Leere und Entfremdung sind. Weil ich die Härte kenne. Weil ich demütig bin. Mich nicht überhöhe. Und weil ich niemanden verachte oder verurteile. Ich befürworte jeden Lebensentwurf. Bürgerlich, antibürgerlich. Ich bin flexibel.

Und das alles wiederum macht mich authentisch. Ich verfremde mich nicht selber. Ich bin einfach. Ich spiele nicht. Ich bin einfach. Ich bin leidenschaftlich. Ich bin entschlossen. Ich bin zuweilen grössenwahnsinnig. Ich bin zuweilen grosszügig. Ich lebe. Ich bin enthemmt. Ich schone nichts. Ich riskiere alles. Ich verliere alles. Ich kann jederzeit mein Leben vernichten. Das macht mich sympathisch für alle jene, die bereits beendet sind. 

Mein Reisebericht aus Wolhusen

Wolhusen ist in einem schmalen Tal eingeengt. Die Bahn und die überlastete Hauptstrasse quälen sich durch gestreckte Dorf. Das Tal verzweigt sich. Einmal Richtung Langenthal, einmal Richtung Langnau. Ich habe einen persönlichen Bezug zu diesem Dorf. Schliesslich habe ich mal in einer Telefonkabine hier genächtigt.

Ich habe mich mit Alkohol in der Dorfkneipe ausreichend betäubt. Ich habe mit einigen locals diskutiert. Mit einigen Nutten geflirtet. Wolhusen war bloss meine Nachtruhe für Schangnau. Die Mädchen sind nicht schöner, sie sind bloss natürlicher, weil abgefuckter oder braver als in den grossen Städten.

Heute besuchte ich wieder Wolhusen. Das Dorf deprimiert mich. Zu eingekesselt. Zu verloren. Ich fühlte mich gefangen. Ich hatte keine Weitsicht. Ich fühle mich eingekreist. Dort produziert nebenbei eine Pharmafirma Produkte mit der höchsten Marge weltweit. Eine Familie namens Geistlich besitzt diese Firma komplett. Die Firma publiziert bloss die Vollzeitstellen.

Irgendwie mystisch. Ich habe deren Produktionslinien beobachtet. Sie werden ausschliesslich von flinken und bedürfnisarmen Frauen bedient. Die mittleren Chefs sind Männer aus der Gegend. Gross und stämmig und verwurzelt. Die oberen Chefs und die gesamte Forschung und Entwicklung ist internationalisiert. Bloss der CFO ist Schweizer.

Und die Eigentümer. Spannend. Das ist also der Produktionsstandort Schweiz. Irgendwo in der Pampa Millionen schaufeln. Niemand bemerkt’s. Ein mittlerer Chef hat angekündigt, dass die Löhne der Frauen nicht mehr jährlich korrigiert werden müssen. Sie sind nun sehr überdurchschnittlich. Allen geht’s gut. Man ist eine richtige Familie.

Das muss wohl Wolhusen sein.

Mein endlicher Backlog

Ich habe ein Kanban-System implementiert, das meine Tätigkeiten steuert. Quasi meinen Fluss kontrolliert. Damit ich immer genügend Dinge pendent habe, aber auch gleichzeitig genügend Dinge abarbeite und nicht mich verzettle. Darin sind wirkliche alle Aktivitäten protokolliert. Die internen meines Arbeitgebers sowie meine privaten. Meine Aktivitäten meiner Kunden verfolge ich in deren lokalen Systemen.

Irgendwas gesehen, aufgeschnappt oder gedacht? Ich strukturiere alles im Backlog. Ich sortiere den Backlog nach Priorität. Das ist eine diffuse Grösse, die ich nicht wirklich bemessen möchte. Man kann Priorität beispielsweise in business value sowie impact teilen. So beispielsweise ermittelt mein Arbeitgeber die Priorität aller Unternehmensaktivitäten. Ich bin hier persönlich sehr schlank organisiert.

Während meiner Zugfahren scrolle ich durch meinen Backlog. Die Aktivitäten sind typisiert. Private sowie berufliche sind hervorgehoben respektive abgetrennt. Ich erledige dann meine Aktivitäten seriell. Ich diszipliniere mich, nicht zu viele Aktivitäten gleichzeitig zu bearbeiten. Weil das verursacht hohe Wechselkosten. Denn man muss sich immer wieder hineindenken, hineinversetzen. Eine versteckte Verschwendung, die Geist und alles lähmt.

Manche Themen warten seit Monaten auf eine Erledigung. Wenn ich etwas nach mehreren Monaten immer noch nicht lösen konnte, archiviere diese Aktivität. Damit pflege ich meinen Backlog regelmässig. Ich aktualisiere ihn. Denn er wächst quasi stündlich. Gleichzeitig verschwinden stündlich Einträge. Sie wandern in einer seligen Zustand der Erledigung. Die Endlösung.

Mal schauen, was sich im Backlog noch staut.

Ich bin ein kleiner Masochist

Ich riskiere immer, ich verspiele oft. Ich leide gerne. Ich jammere zuweilen gerne. Ich beklage meine verwirkten Optionen. Ich bedauere meine tote Sexualität. Ich bin unglücklich verliebt. Ich spüre diese Gefühle. Ich verstärke sie. Ich will sie erfahren. Ich durchlebe sie. Ich wühle und wälze mich.

Natürlich könnte ich auch verdrängen und ignorieren. Ich könnte ganz futuristisch weiter flitzen. Ich könnte beispielsweise mich über kommende Optionen erfreuen. Auf alle diese Mädchen, die ich irgendwann noch flachlegen könne. An alle das Geld, das einsammeln werde. An alle die Anzüge, die mir schneidern lasse.

Ich bin grundsätzlich nicht in der SM-Szene heimisch. Ich kann zwar eine Frau fesseln, ihre Augen verbinden und ihren Arsch bumsen. Ich empfinde Lust. Ich kann auch gerne Schmerzen ertragen. Ich quäle mich gerne, weil ich fordere viel. Ich bin streng, bin zu mir strenger als zu euch.

Ich verletze mich gerne selber. Damit ich spüre. Vorzugsweise psychisch und emotional. Überantworte mir viel. Ich beschäftige mich breit. Ich habe Schulden. Ich zerquetsche mein Herz, ich schleife meine Eier. Mutmasslich und absichtlich. Solange ich nicht sterbe, ist’s gut. Auch mein Deutschland-Experiment zermürbte, zerstörte mich physisch wie psychisch.

Dieser Todestrieb, den Freud so nobelpreiswürdig erklärte, motiviert und begeistert mich. Ich sterbe nicht, ich altere bloss. Das revitalisiert, regeneriert mich. Alle diese Phasen des Unglücks, der Schmerzen verkünden bloss eine noch teuflischere Phase des Glücks und der Unbeschwertheit. Bloss im Extremen und Intensiven kann ich differenzieren, unterscheiden.

Weil ansonsten würde ich wie ein Beamter funktionieren. Ich würde aufstehen, meine verkümmerte Frau flüchtig küssen. In der Dusche masturbieren. Dann an meine Wirkstätte eilen. Dort lausige Gespräche bemühen. Im Feierabendverkehr mich echauffieren. Vertrocknete Teigwaren herunterwürgen. Wegen der Tagesschau mich empören.

Ein Mann ohne Emotionen ist ohne Eigenschaften. Ich mag meine Eigenschaften. Neurotische und zwanghafte schätze ich ebenso. Depressive wie manische gleichfalls. Ich vereine Vielseitigkeit. Dennoch kann ich mich fokussieren und konzentrieren. Momentan umtänzle ich den Schmerz. Das Unglück. Bald folgt das Glück. Ich ahne.

Alleine altern

Ich fürchte mich, alleine zu altern. Altern allein ist bereits eine Qual, die meine Generation verdrängt. Mein Körper ist grösstenteils noch intakt. Aber ich spüre meinen Zerfall. Bald werde ich vierzig. Dann verwelke ich. Nach einer langen Nacht entdecke ich morgens bereits erste Augenringe. Diese verschwinden aber tagsüber; mein Haut verfettet rasch. Aber auch meine Hände sind morgens wie ausgetrocknet. Ich habe ein Drittel meines Lebens gemeistert. Ich habe einiges gelernt.

Ich habe unter anderem gelernt, dass ich nicht alleine altern möchte. Ich werde altern. Wir alle werden altern. Aber ich möchte diesen Prozess in einem sicheren Hafen geniessen. Ich möchte würdevoll altern. Das kann bloss, wer einigermassen aufgehoben, gesichert und geliebt ist. Wer irgendwo alleine in einer grossen Weltstadt haust, bloss flüchtige Beziehungen unterhält, kann nicht würdevoll altern. Er quält sich bloss. Er versucht, alle Symbole das Alters zu verzögern, zu kompensieren.

Daher müssen wir unsere Beziehungen intensivieren, fürs Alter sparen. Ich meine nicht bloss Liebesbeziehungen, diese meine ich besonders. Ich meine auch “normale” Beziehungen. Denn die meisten Beziehungen begleiten einen bloss für einen sogenannten Lebensabschnitt. Sie verflüchtigen sich dann. Hier müssen wir Netzwerke schaffen, die überdauern, die nicht bloss auf einen Moment beschränkt sind. Wir können immer wieder neu uns verknüpfen, aber Vertrauen erreichen wir bloss durch stabile Konstellationen.

Also, seid stabil, veruntreut euch nicht selber. Stabilisiert eure Beziehungen. Sodass ihr nicht alleine altern müsst. So wie Capus es auch im guten Leben vorlebt.

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