Month August 2016

Gespräche über Selbstmord

In meinem Umfeld ist’s üblich, dass der Freitod etwas Freiheitliches und Individuelles ist. Gewisse sind schon gestorben, manche hatten es vergebens versucht. Andere haben sich daran gewöhnt. Ich bin diesbezüglich relativ entspannt und flexibel. Hier ein Ausschnitt eines Gespräches.

“Wie überlebst du?”
“Überhaupt nicht.”
“Aber was hält dich funktionierend?”
“Die Gewissheit, mich jederzeit im Schrank aufhängen zu können.”
“Ok. Das gefällt mir, das tröstet. Das entspannt. Das macht uns gelassener.”
“Mal sehen.”

Meine Aufmerksamkeitsdroge

Aufmerksamkeit ist die schlimmste Droge. Ich liebe Aufmerksamkeit. Ich kann diverse Rollen spielen, damit ich Aufmerksamkeit erlange. Ich bin schon seit jeher aufmerksam bedacht worden. Das stiftete und bildete meine Identität. Meine Rollen könnten Bücher füllen; was sie auch werden, sobald der Stoff reift und heranwächst. Aber ich bin abhängig geworden. Ich kann keine Stunde überleben, ohne dass ich Aufmerksamkeit spüre.

Ich meine damit nicht primär die Anerkennung, wie bereits auch hier dargestellt. Auch diese muss gehaushaltet werden. Ich meine grundsätzliche Aufmerksamkeit. Dass beispielsweise jemand an mich denkt oder jemand sich sorgt. Ich liebe das Gefühl; ich möchte teilgenommen werden. Ich kann das mit unterschiedlichen Rollen erzielen; mit unterschiedlichen Handlungen.

Ich kann empören oder beglücken und erhalte gleichermassen Aufmerksamkeit. Mit der Empörung habe ich mich über die Jahrzehnte gerettet. Ich durfte viele Menschen irritieren, ich durfte viele Menschen verletzten. Und alle sie bedankten sich mit Aufmerksamkeit. Ich war und bin geil darauf. Ich und das befeuerte mich. Denn Ablehnung ist unmittelbar und meistens ehrlich. Ehrlicher als positive Aufmerksamkeit. Sie lügt weniger.

Wie kann man als Süchtiger sich durch den Tag schlängeln? Kann ich ebenfalls von abstrakten oder vergangenen Reserven schöpfen? Nein, Aufmerksamkeit verflüchtigt sich sofort, so wie die Anerkennung. Ich kann Aufmerksamkeit nicht bunkern und mir für spätere Tage aufsparen. Ich brauche alles hier und jetzt. Ich muss Aufmerksamkeit immer höher dosieren, immer intensiver, damit ich sie noch spüre.

Aber kann ich so enden? Kann ich so weiter überleben? Nein, ich brauche einen Entzug. Ich muss mich wieder zurückziehen. Asketischer leben. Ohne Aufmerksamkeit und freilich ohne Anerkennung. Und mir dessen bewusst sein. Ich muss mich auf kleine Dinge fokussieren, die die meinen sind. Ich muss ohne ein Umfeld überleben können. Nur so kann ich die Sucht lindern. Weil ansonsten “rotiere” ich. Und das ist sehr unfuturistisch; denn dann kreise ich. Dann verliere ich mich.

Die stete Unruhe

Die Unruhe zerstreut. Solange wir rasen, müssen wir uns nicht auseinandersetzen. Solange wir irren, müssen wir uns nicht finden. Solange fühlen wir uns unbeschwert und entspannt. Ich atme tief und fest. Ich sollte mich auseinandersetzen, doch stattdessen zwänge ich mich mit einem totalen Programm. Ich sehne mich nach sogenannter Ruhe, nach sogenannter Besinnlichkeit und gewissermassen Meditation.

Denn ich fühle mich entspiegelt. Ich vermisse mein Tagebuch; ich vermisse meinen Rückzug. Ich vermisse den offenen, den freien Moment des Rückzuges. Ich vermisse mein Refugium; meinen sicheren Hafen quasi. Doch stattdessen beschleunige ich; ich rase. Ich rase mit 200 km/h besoffen durch die Nacht. Ich riskiere mein Leben; ich veruntreue meine berufliche Zukunft. Ich bin endlos. Ich liebe das Gefühl, dass alles plötzlich enden könnte; meine Tarnung ist aufgedeckt, meine Finanzen ruiniert und ich werde gesellschaftlich geächtet.

Mein Tagebuch

Ich reflektiere mich in meinem Tagebuch; mein Tagebuch spiegelt mich. Durch diese Auseinandersetzung entspanne und entschleunige ich mich. Ende 2007 würdigte ich denn auch den “gesellschaftlichen Wert” der Tagebuchbloggerei. Diese Selbsthilfe erspare uns sozialisierte Krankheitskosten. Ich möchte daher das Tagebuch empfehlen; nicht bloss das teilbare, sondern vor allem das private.

Ich rate allen, irgendwo zu notieren, was einen beschäftigt und umtreibt. Das Tagebuch hat für uns Normalsterblichen keinen literarischen, sondern einen therapeutischen Wert wie Nutzen. Wer ohne Tagebuch lebt, riskiert damit, früher oder später sich selber zu belügen, zu entfremden, sein Ich zu beschummeln und darf dann in der unvermeidlichen Mittelebenkrise teure Arztrechnungen bedauern.

Ich und die Literaturszene und mein Gesellschaftsroman

Die Schweiz hat eine kleine Literaturszene hervorgebracht. Sie sind alle ungefähr in meinem Alter. Manche kenne ich sogar persönlich. Andere nicht, noch nie etwas gehört. So oder so muss ich irgendwie mich anbiedern oder vernetzen. Also habe ich mich durchgeklickt. Doch was unterscheidet mich? Was ist mein USP, mein Alleinstellungsmerkmal? Ein Annäherung.

Ich habe weder Germanistik noch Publizistik studiert. Ich schreibe weder Theater noch Rezensionen. Ich bin bloss kaputt. Das ist mein Vorteil. Mein Leben ist kaputt, ich habe Kaputtes in meiner Nähe erlebt. Das lässt mich absondern, aber nicht unbedingt abheben. Denn so kaputt bin ich auch nicht. Es gäbe durchaus kaputtere Menschen, die Kaputteres erlebt hätten. Doch diese sind entweder weggesperrt, gestorben oder können sich nicht ausdrücken.

Wie kürzlich erklärt, vereine ich modernste Management-Techniken mit fatalistischem Weltschmerz. Meine Vollbildung beschränkt sich aufs Wirtschaftlich-Nützliche, meine humanistische Halbbildung kaschiere ich mit einer einseitigen Leseliste. Ich empfinde diese Kombination aber als “explosiv”. Ich stamme nicht ausm Milieu, ich habe einen anderen Hintergrund. Ich habe nie Gedichte in Studentenzeitschriften verewigt. Ich habe mich nie fürs Theater interessiert. Ich war stattdessen “draussen” und unterwegs. Ich füllte unter anderem mich mit Alkohol.

Ob das alles mich auszeichnet? Ich kann gut Befindlichkeitsprosa. Ich kann gut Utopien und Dystopien. Ich verfüge über eine unendliche Vorstellungskraft. Schlussendlich kann alles mit Autobiografischem anreichern. Denn ein prekäres Leben erzählt mehr Geschichten als ein mediokres. Aber genügt das? Weshalb muss man mich lesen; weshalb beispielsweise auch bloss diesen Blog, diese Selbsthilfegruppe für anonyme Futuristen? Für alle Irrenden, Suchenden, Sehnenden und Verrückten? Keine älteren Frauen wie Capus mit romantischer Sehnsucht?

Mein Kolumnenkonzept, das ich wohlgemerkt noch nicht versendet habe, hält nichts zusammen. Es mangelt am Über- respektive Unterbau; am Rahmen, am Plot. Eine grosse Geschichte, damit sich die kleinen nicht verlieren. Das fehlt mir noch. Der Gesellschaftsroman als Genre dokumentiert den Menschen. Den roten Faden meiner Geschichte bilden entweder der Aufstieg oder der Abstieg oder das unstete Zwischenbad. Ich liebäugle mit dem Amoklauf als vorschnelles Ende; mit dem Massaker an der Autobahnraststätte.

Die Geschichte beginne klassisch mit der Geburt. Ein anonymer Freund will sie erzählen. Er will “die Tat” erklären, aber nicht rechtfertigen. Er ist der einzige Freund des Amokläufers. Er schildert den Aufstieg, den Abstieg, die Zwischenerfolge, die Enttäuschungen. Schliesslich endet alles im besagte Amoklauf. So kann ich den Gesellschaftsroman relativ früh abschliessen; ich muss mich nicht ums Altern, ums Verheiraten und Kinderkriegen kümmern.

Aber ja, wer möchte so etwas lesen? Ich habe mir mal die entsprechende Domain reserviert. Eine Art spin-off dieses Blogs? Oder der Überbau meiner Kolumne? Ich werde mich noch beraten und auch beraten lassen. Ich treffe mich in dieser Woche noch mit einem Vertreter der Szene. Ich will seine Meinung erfahren.

Das gute Leben in Olten

Wir haben in Olten einige Literaten. Alex Capus ist der wohl bekannteste und vor allem erfolgreichste. Er schreibt für den Markt. Sein neustes Werk habe ich beschafft und bereits gelesen. Das Leben ist gut. Willkommen bei meiner Rezension. Die NZZaS hat’s bereits getan. Der Tagesanzeiger ebenfalls

Ja, das Leben ist gut. Capus beschreibt darin seinen “Alltag”. Die Geschichten basieren grösstenteils auf, weil sind in seiner Bar. Seine Bar, die ich auch regelmässig besuche, versammelt unterschiedliche Geschichten. Auch ich wünsche mir eine Bar. Ich werde irgendwann eine Bar besitzen. Vorerst begnüge ich mich mit Capus’ Bar und jener des von mir sehr geschätzten K.

Denn so eine Bar füllt unendliche Geschichten. Sie erzählt wirklich ausm Alltag. Denn eine Bar, vor allem wenn’s Capus’ Bar ist, lockt und verführt unterschiedliche Gestalten. Auch mich. Ich beneide ihn gewissermassen. Darin begründe ich auch meine latente Abneigung. Aber grundsätzlich respektiere ich ihn, ich anerkenne ihn. Und das gipfelt auch in dieser persönlichen Rezension. Also.

Hauptsächlich schildert Capus “bloss” sein Leben. Die Geschichten darin sind wohl grösstenteils wahr. Sie sind zwar sicherlich ausgeschmückt, übertrieben, dramatisiert, verschönert. Doch ich vermute, Capus’ Autobiographie hat das Buch schlussendlich produziert. Er verdichtet darin die Monaten, seit er eine und seine Bar betreibt. Denn einen klassischen Plot vermisst man.

Die Sehnsucht oder die Beziehung mit seiner fernen Frau umrahmt grob das Werk. Den Rest füllen Kleingeschichten, Kleinschicksale Oltens. Diese Kleinstadt, wo ich und Capus gleichermassen aufgewachsen und irgendwie doch heimisch sind. Weil wir, so Capus, nie genötigt waren, fortziehen, fortgehen zu müssen. Oltner werden denn auch dieses Buch lieben, weil sie mutmassen, tratschen und rätseln dürfen, wer wen inspirierte. Capus kann dann grosszügig verkünden, alles sei erlogen, erfunden, erstunken und so worden.

Gewiss ist’s ein Werk eines fleissigen Literaten. Es ist eine Art Gegenwartsbewältigung. Capus schreibt, damit er weiss, wo er in der Welt steht. Gegenwartsbewältigung. Nebenbei verdient er Geld. Wir dürfen darin keine ewigen Weisheiten vermuten; er schreibt für sich selber. Aber er lässt teilhaben. Er verpackt Geschichten; er komprimiert sie, damit sie lesbar sind. Das ist sein grosses Geschick. Und das ist schliesslich der oft erwähnte und auch bewunderte Capus-Stil.

Ich gewinne aber keine neuen Erkenntnisse. Capus verarbeitet nicht sein Leben. Er schildert bloss, er beschreibt. Dieser Stil ist aber angenehm; er belehrt nicht, er hinterfragt nicht. Manchmal kann man ihn als Romantiker verübeln. Wenn er beispielsweise immer wiederholen muss, er besitze kein Natel. Er ist kein Futurist; er liebt nicht die Beschleunigung. Er liebt das Beständige. Er trotzt und leistet Widerstand. Das besänftigt mich dennoch, weil’s ihn menschlich und fehlbar macht.

Das Buch liest sich schnell und gut. Die Sätze sind kurz. Zwischendurch erheitern einen Dialoge. Immer wieder offenbart er romantische Zivilisationskritik, die aber immer wieder berechtigt ist und wohl alle berührt. Als Gelehrter der Produktentwicklung spekuliere ich, er schreibe für eine Zielgruppe. Seine Zielgruppe jubelt; sie sucht diese Passagen der romantischen Zivilisationskritik. Capus verkörpert die Sehnsüchte älterer Frauen; er ist Mann, durchaus, offenkundig romantisch. Seine Frau wird’s wohl danken.

Der Roman entspannt und beruhigt. Er hatte mich mit der Person dahinter, mit Capus selber, befriedet und versöhnt. Aber ich erwarte mehr. Es ist noch nicht sein finales Alterswerk, das alles vereint. Dafür ist’s noch zu früh. Also warten wir. Also warte ich. Ich danke ihm dennoch.

Todessehnsucht der Randständigen

Ich durfte beobachten, wie ein Junkie ins Wasser sich stürzte. Mit Rucksack, mit Kleidung, mit Sonnenbrille. Er scheute und fürchtete nichts. Und plötzlich spuckte er in der Aare; kämpfte, leistete Widerstand. Er verlor seinen Rucksack, seine Sonnenbrille. Es störte weder ihn noch die anständig gekleideten Menschen gegenüber. Es war schön. Seine Furchtlosigkeit, seine Todessehnsucht. Er fühlte sich vermutlich noch nie so lebendig. Das war seine Art, sich zu vergewissern, dass er noch lebe. Ich hoffe, er überlebt’s und ich muss morgen im Oltner Tagblatt keine Schlagzeile wegklicken.

Unsere Familien sind wir

Wir alle haben eine Familie geerbt. Wir alle hadern mit unseren Familien. Gewiss kann man eine Familie nicht aussuchen, so ein Sprichwort. Also müssen wir uns arrangieren. Doch ebendamit zaudern wir. Denn wir wollen bloss Beziehungen, die wir wirklich und wahrhaftig wollen.

Auch ich habe eine Familie. Ich fühle mich zwar entwurzelt, fremdgeworden und hineinverpflanzt, aber dennoch habe auch eine Familie. Wir können darüber klagen, dass wir keine oder keine richtige Familie hätten. Wir können uns bemitleiden, wir können nach einigen Barstunden darüber entsetzen und empören. Doch letztlich haben wir alle selber zu verantworten, wie und vorallem was und wer unsere Familie ist.

Denn wir gestalten unsere Beziehungen. Wir formen unsere Familie. Wir sind die Familie. Wir verkörpern sie. Wenn wir sie “leugnen”, abstreiten oder abstossen, weil wir nicht mögen, weil sie keinen Spass verheisst, dann verschulden wir selber, dass wir plötzlich wirklich keine oder keine richtige Familie haben. Denn eine Familie erfordert Anstrengung. Wir müssen stets uns bemühen.

Ich möchte nicht kurz vor meinem Tod resümieren müssen, dass ich keine Familie hatte. Weil dann ist’s zu spät, um Beziehungen zu festigen und zu stärken. Dann können wir uns bloss noch verbittern und einander beargwöhnen. Dann können wir bloss wirklich einsam siechen, bis wir letztlich sterben und ohne Erinnerung das eigentlich gute Leben beenden. Wir müssen also Widerstand leisten; Eitelkeiten zügeln.

Also, bemüht euch! Überwindet euch! Solidarisiert und verschwört euch! Vernetzen wäre das zeitgemässere Wort, gewiss. Investiert. Liebt, ohne dass eure Liebe jemals erwidert werden muss. Liebt selbstlos. Liebt einfach eure Familie. Egal was sie tut, egal was sie denkt. Versteht. Versteht deren Situation. Aber erzwingt kein Verständnis für eure. Wer wirklich selbstlos lieben kann, kann tiefe Zufriedenheit erfahren. Versteht.

Meine Bewerbung für einen Kolumnenplatz

Mein Bewerbungsschreiben. Ich bemühe mich um einen Kolumnenplatz. Ich möchte gerne erzählen. Mein elevator pitch.

Für alle Suchende, Irrende, Unerfüllte, Verrückte und Sehnsüchtige, welche nach Wahrheit, nach Erleben, nach Intensität, nach Antworten und freilich nach Sinn und Leben trachten, ist Der Doppelgänger die periodische Kolumne, der Platz, weil anders als die Mitbewerber der Doppelgänger nicht bloss mit gesundem Essen und politischen Aktionismus sich beruhigt, sondern direkt das Unbehagen mit und in dieser Welt verdeutlicht, ist Der Doppelgänger die Projektion, der Platz fürs Leben.

Die Leser erhalten folgende Vorteile

  • Anleitung zum Glücklichsein
  • Frische Gegenwartsbewältigung mit und in dieser Welt
  • Erfahrungen nur für Verrückte
  • Verständnis der Unkultur Oltens

Meine aktuellen Referenzen sind folgende Geschichten:

Diese Geschichten vermitteln, womit ich die Leserschaft unter anderem konfrontieren möchte. Es sind entspannte, aber konkrete Botschaften ausm Leben eines Doppelgängers. Quasi ein Prototyp dieser Generation. Wir alle baumeln, hadern und verlieren uns. Ich verstimme das Leben bloss. Ich helfe. Aber ich hinterlasse Fragen, Zweifel. Ich orientiere und verwirre zugleich.

Ich brauche bloss einen Raum, ich brauche bloss Platz. Ich fordere maximal 5’000 Zeichen. Und Periodizität.

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